Winterlicht
stimmt’s?“
„Ich dachte, du magst Flussauen“, sagte sie.
„Du hast das geplant. Du hast genau gewusst, dass er hier ist, und jetzt willst du ihn retten.“
„Mach dich nicht lächerlich“, sagte sie schnippisch. „Warum sollte ich ausgerechnet einen nutzlosen Dieb retten wollen, der versucht hat, mir Gewalt anzutun, während ich schlief?“
Als Finnikin nichts darauf entgegnete, zuckte sie die Achseln. „Aber dann ist mir dein Gelübde wieder eingefallen. Damals auf dem Felsen von Sorel hast du zu mir gesagt, du wolltest das Land nach den Waisenkindern von Lumatere absuchen und sie zurückbringen. Also nahm ich an, dass vielleicht du ihn retten willst. Wenn du den Jungen jetzt befreist, dann musst du nicht nach ihm suchen, später, wenn du deine neue Heimat gefunden hast und mit der süßen, zarten Tochter irgendeines Lords verheiratet bist.“
„Du bist durch und durch böse“, knurrte Finnikin wütend.
„Böse? Dieses Wort muss für meinen Geschmack viel zu oft herhalten“, sagte sie. „Alles ist böse, was der Mensch nicht beherrschen kann.“
„Was erwartest du jetzt von mir?“, fragte er. „Soll ich etwa gegen die Sklavenhändler kämpfen? Du bist doch diejenige, die ihn verkauft hat!“
„Weil ich dringend ein Pferd brauchte, um dir die Flucht zu ermöglichen“, sagte sie ruhig.
„Was gar nicht erst nötig gewesen wäre, wenn du mich nicht zuvor verraten hättest. Danach gehst du hin und verkaufst das Tier für den Ring, sodass wir jetzt nicht einmal mehr ein Pferd haben. Und jetzt verschleuderst du vermutlich den Rubinring für diesen Tunichtgut von Dieb.“
„Was für eine dämliche Idee“, sagte sie. „Er hat mir doch den Ring überhaupt erst gestohlen.“
Finnikin umklammerte den Dolch fester, ein Splitter des Holzgriffs bohrte sich dabei in seine Handfläche. Dann sah er hinüber zu dem Dieb und las in seinen Augen abgrundtiefe Erleichterung.
„Ich werde das einzig Richtige tun und ihn von seinem Elend erlösen.“ Er fragte sich, wann die Schrecken dieses Tages wohl enden würden.
„Und wenn du ihn nicht triffst?“
„Ich treffe immer.“ Er sagte das nicht überheblich, nur sehr traurig.
Finnikin drehte den Dolch, sodass er die Klingenspitze zwischen Daumen und Finger hielt. Er starrte auf das Ziel und schmeckte bittere Galle. Aber ehe er den Dolch werfen konnte, hatte Evanjalin eine Hand auf seinen Arm gelegt und ihm die Waffe abgenommen.
„Wir werden den Dieb ganz bestimmt nicht kaufen, Evanjalin“, sagte Finnikin matt.
„Natürlich nicht.“ Sie beugte sich an sein Ohr und flüsterte: „Wir werden ihn stehlen.“
„Und wie stellst du dir das vor? Sollen wir den Flusskahn stürmen? Ich habe weder das Schwert meines Vaters noch bin ich in der Lage, es mit zehn Händlern und hitzigen Käufern aufzunehmen, von denen einer skrupelloser als der andere ist. Solche Menschen habe ich in den Minen häufig genug kennengelernt. Du erinnerst dich doch an die Minen, in die du mich gebracht hast? Das werde ich dir nie verzeihen.“
„Und ich werde dir das mit der Hure nie verzeihen.“ Ihre Augen funkelten vor Empörung. „Wir warten, bis jemand den Dieb gekauft hat, und dann überfallen wir den Käufer. Das heißt, Sir Ohne-Schwert-aber-mit-drei-Messern, dass unsere Chancen gut stehen, denn wir werden es vermutlich nur mit einem einzigen Käufer zu tun haben.“
„Wie kommst du darauf, ich hätte drei Messer?“
Sie griff an seinen Oberarm, wo das erste Messer versteckt war, dann legte sie die Arme um ihn und tastete seinen Rücken ab, wo sich unter seinem Gewand die Scheide für das Messer befand, das sie ihm zuvor abgenommen hatte.
„Und das dritte?“, fragte er.
Wieder sah sie ihn zornig an. „Erwartest du von mir, dass ich vor dir auf die Knie gehe? So wie deine Hure? Das dritte ist an deinem Fußgelenk.“
Ihre Worte brachten ihn in Rage. „Ich verfluche den Tag, an dem ich den Felsen in Sendecane hinaufgeklettert bin“, stieß er hervor.
Sie sah ihn traurig an. „Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Finnikin. Denn für mich nahm an diesem Tag alles seinen Anfang.“
Schweigend sahen sie zu, wie der Händler dem Jungen die Fußfesseln abnahm und nur die Hände zusammenband. Vermutlich würde der Käufer den Dieb mitnehmen und am nächsten Morgen über den Fluss in Richtung der Minen abreisen.
„Wenn wir wirklich vorhabe n …“, fing Finnikin an und drehte sich um, aber von Evanjalin war weit und breit nichts zu sehen.
Hastig
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