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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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sich diese Behauptung als falsch erwiesen. Aber ich kann Euch noch einen anderen Namen nennen.“
    „Ich habe zu tun“, sagte der alte Mann und erhob sich. „Namen bedeuten mir nichts.“
    „Nicht einmal Hauptmann Trevanion?“
    Verblüfft wandte er sich zu ihnen um. Er sah Finnikin ins Gesicht und da dämmerte es ihm. „Finnikin von den Felsen? Sohn von Trevanion aus dem Flussland?“
    „Eben dieser“, bestätigte Evanjalin.
    „Ich kann für mich selbst sprechen“, schnauzte Finnikin sie an.
    „Ist er geflohen?“, fragte der Priesterkönig.
    Evanjalin nickte.
    „Ist die Garde bei ihm?“
    „Nein, eine Hure“, sagte sie knapp.
    „Evanjalin!“
    Sie blickte Finnikin ungläubig an. „Ach, werden wir jetzt etwa verschämt?“ Zum Priesterkönig sagte sie: „Wenn wir ihn herbringen, zusammen mit dem Obersten Ratgeber des Königs, werdet Ihr dann die Leute davon überzeugen, nach Norden zu ziehen, verehrungswürdiger Barakah?“
    „Bring sie her, dann können wir reden.“
    Trotz des Elends, das sie im Lager gesehen hatte, machte Evanjalin einen zufriedenen Eindruck, als sie sich wieder auf den Weg in die Stadt machten. Statt die Hauptstraße zu nehmen, wählte sie die Route durch die Wälder. „Hier geht es sich viel angenehmer“, sagte sie. „Der Fluss ist ganz in der Nähe.“
    Finnikin blieb abrupt stehen. „Das Pferd? Wo ist es?“
    Sie zuckte die Schultern. „Ich habe mein Pferd nicht mehr.“
    „Dein Pferd? Das Pferd gehörte mir!“
    „Mach dich nicht lächerlich.“ Sie marschierte unbeirrt weiter. „Du hättest niemals ein Pferd in Sarnak gestohlen, wenn ich dich nicht dazu ermutigt hätte. Also ist es meines.“
    „Aber ich habe es gestohlen“, protestierte er.
    „Schön und gut. Aber das Pferd, das du gestohlen hast, wurde ein zweites Mal gestohlen, und wir mussten den Dieb von Sarnak gegen das Tier eintauschen, also gehört es im Grunde genommen ihm“, sagte sie über die Schulter hinweg.
    Finnikin holte tief Luft, um seinen Ärger zu unterdrücken, und holte sie rasch ein. „Und warum hast du sein Pferd nicht mehr?“
    „Weil etwas Wunderbares geschehen ist, während du herumgehurt hast. Der Dieb hat nämlich die Wahrheit gesagt und den Ring tatsächlich an einen Hausierer aus Osteria verkauft, der zufällig durch die Gegend hier kam.“ Evanjalin griff in ihre Hosentasche und holte den Rubinring hervor. „Ist er nicht schön?“, fragte sie mit einem glücklichen Lächeln.
    „Wunderschön“, murmelte Finnikin säuerlich, denn ihre Bemerkung über das Herumhuren passte ihm überhaupt nicht.
    „Diese Strecke wird dir gefallen. Der Fluss bietet zu dieser Tageszeit einen herrlichen Anblick.“
    Aber Finnikin fand den Fluss alles andere als herrlich. Denn dort lagerten die Sklavenverkäufer von Sorel in all ihrer Abscheulichkeit. In Bootskäfigen kauerte ihre Handelsware, hauptsächlich Mädchen, aber auch Jungen. Besonders die Mädchen waren noch halbe Kinder.
    Am Ufer war nicht viel Platz, trotzdem drängten sich dort gierige Käufer und gaben Preisangebote für Sklaven ab, als handelte es sich nicht um Menschen, sondern um Vieh. Sorel war das einzige Königreich, in dem Sklavenhandel nicht verboten war, und Finnikin hatte gehört, dass die Kinder hier mit Brandzeichen gekennzeichnet wurden wie Tiere. Wie immer in solchen Situationen sagte ihm seine innere Stimme, dass ihn diese Leute nichts angingen und er sie besser rasch aus seinen Gedanken verbannte. Dann sah er hinter zwei Käufern den Dieb von Sarnak. Er war an einen Holzpfosten gefesselt und stand nackt und zitternd da.
    Und auch der Dieb hatte ihn bemerkt. Finnikin sah die Überraschung in seinem Gesicht, und er sah noch etwas: ein Flehen. Der Junge öffnete den Mund und murmelte lautlose Worte.
    Finnikin zwängte sich zwischen den Händlern hindurch. Der Dieb ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Dann war er an der Reihe und man band ihn los. Als einer der Händler sah, dass er die Lippen bewegte, schlug er ihm mit dem Handrücken so fest ins Gesicht, dass der Junge in die Knie sank. Trotzdem hob er den Kopf und wiederholte seine Bitte.
    Voller Entsetzen wurde Finnikin klar, was der Junge von ihm wollte.
    „Töte mich“, sagte Evanjalin neben ihm. „Er bittet dich, ihn zu töten.“
    Töte mich. Töte mich.
    Finnikins Hand glitt unwillkürlich zu dem Dolch in der Scheide, den er an seinem Rücken trug. Er wagte es nicht, Evanjalin anzusehen.
    „Wir haben diesen Weg nicht eingeschlagen, weil er angenehmer ist,

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