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Winterlicht

Winterlicht

Titel: Winterlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melina Marchetta
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sterben.“
    „Und darum lautet die Antwort auf deine Frage von vorhin: Ich werde mit dem Mädchen und den Menschen hier nach Norden in Richtung Lumatere ziehen, während du westwärts nach Belegonia gehst und eine neue Heimat suchst“, sagte der Priesterkönig. „Oder hast du deine Meinung inzwischen geändert?“
    Finnikin gab keine Antwort.
    „Wovor hast du Angst?“, fragte der Priesterkönig.
    „Wieso glaubt Ihr, ich hätte Angst?“
    Der alte Mann seufzte. „Als ich noch sehr jung war, wurde ich zum religiösen Oberhaupt unseres Königreichs gewählt. Ich wurde nicht zum Barakah gemacht, nur weil ich das Lied von Lumatere in der richtigen Tonlage singen kann.“
    „Heißt das, Ihr habt die Macht, Dinge zu sehen, die wir anderen nicht sehen können? Spürt Ihr seine Anwesenheit? Ist Balthasar am Leben?“
    „Das kann ich nicht sagen, aber wer es auch ist, den ich erspüre, er ist mächtig. Das Dunkle wird dem Hellen vorangehen und unser Resurdus wird wiederauferstehen. So lauten doch die Worte der Prophezeiung, nicht wahr?“
    „Die meisten sagen dazu nicht Prophezeiung, sondern Fluch, verehrungswürdiger Barakah.“
    „Die meisten hätten die Worte gar nicht erst entschlüsselt“, erwiderte der Priesterkönig.
    Finnikin hielt den Atem an. „Kennt Ihr auch den Rest der Prophezeiung?“, fragte er.
    „Jener, der den Treueeid schwor, wird zwei erlauchte Hände umfassen.“
    „Das Tor wird fallen, aber die Qual des Retters hört niemals auf“ , fuhr Finnikin fort.
    „Könige werden aus ihm hervorgehen, doch er wird nie herrschen“ , zitierten sie gemeinsam.
    Für einen Moment herrschte Stille, dann lächelte der Priesterkönig. „Es hat mich zehn Jahre gekostet, den Sinn dieser Worte zu enträtseln. Erzähle mir bitte nicht, dass du es schneller geschafft hast.“
    Finnikin lächelte wehmütig. „Ich habe mein fünfzehntes Lebensjahr fast ganz in der Hofbibliothek von Osteria verbracht“, gestand er ein. „Es gab dort nicht viel anderes zu tun, außer den endlosen Belehrungen unseres Botschafters zu lauschen und mit der osterianischen Garde zu üben.“
    Er fühlte den forschenden Blick des Priesterkönigs auf sich ruhen und wusste nicht so recht, was er davon halten sollte.
    „Wovor hast du Angst, Finnikin?“, fragte der heilige Mann erneut.
    „Ich war der Spielgefährte Prinz Balthasars“, hörte er sich plötzlich sagen. „Oft hat er zu mir gesagt: Finnikin, wenn ich einmal König bin, dann bist du Hauptmann der Garde. So wie dein Vater im Dienst meines Vaters steht. Aber irgendwann tauschen wir einfach, und dann bist du der König und ich der Hauptmann.“
    „Kindergeschwätz.“
    Finnikin schüttelte den Kopf. „Jedes Mal wenn Balthasar das sagte, brannte ein Feuer in mir. Ich wollte König sein, und ich fing an, Balthasar zu beneiden.“
    „Ein ziemlich bescheidener Wunsch für ein Kind.“
    Finnikin schnaubte ungläubig.
    „Als ich acht Jahre alt war“, sagte der Priesterkönig, „wollte ich Gott sein.“ Der heilige Mann blickte sich in dem schäbigen Zelt um. „Vielleicht ist das meine Strafe dafür. Unter uns gesagt, ich glaube nicht, dass die Sehnsüchte eines kleinen Jungen ein schreckliches Unheil auslösen können. Das besorgen die Taten der Menschen.“
    Aber Finnikin wusste es besser. Denn da gab es noch etwas. Ihr Blut wird fließen, damit du König wirst.
    „Geh mit Evanjalin nach Norden, Finnikin“, sagte der Priesterkönig. „Aber denk daran: Wenn wir ihrem Weg folgen, dann wird der Pfad der Erlösung voller Blut sein.“
    „Wir haben im Norden nichts verloren“, sagte Trevanion, der am Zelteingang neben Sir Topher stand. „Habe ich Recht, Finnikin?“
    Sein Sohn schwieg. Er spürte den strengen Blick des Vaters, aber seine Aufmerksamkeit galt ganz Sir Topher, der sich seit Trevanions Rückkehr im Hintergrund gehalten hatte. Nun suchte Finnikin Rat bei ihm.
    „Sie hat dich verhext“, sagte Trevanion. „Und zugleich ist sie dir verfallen, jeder Dummkopf kann das sehen. Also nimm sie dir und verschaffe dir die nötige Erleichterung.“
    Und immer noch wich Sir Topher Finnikins Blick aus. Da begriff Finnikin, dass er seine Entscheidung alleine treffen musste, ja dass er sie vielleicht schon längst getroffen hatte.
    „Gestern stand ich in einer Leichengrube. Ich stieg über einen Menschen hinweg, der bei seinem Tod etwa so alt gewesen ist wie ich. Wisst Ihr, was mir da durch den Kopf gegangen ist? Ich habe daran gedacht, wie es wäre, Lumatere wieder

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