Winterlicht
Finnikin hörte, wie einige der Männer leise lachten. Inzwischen hatte sich die gesamte Garde um den Tisch versammelt.
„Bist du in den Träumen des Kindes gewesen?“, fragte Moss.
Evanjalin schüttelte den Kopf. „Aber ich weiß noch genau, wie wir durch die Träume seiner Mutter gewandert sind. Die Träume jener anderen Person, die uns manchmal begleitet, kenne ich hingegen nicht.“
„Von wem sprichst du?“, fragte Perri.
„Woher weißt du, was du tun musst, um in die Träume zu gelangen?“, fragte Ced.
„Das kann ich nicht genau sagen. Erst verlieren wir uns beinahe in einer weiten, unwirklich scheinenden Landschaft, dann plötzlich befinden wir uns mitten in den Gedanken eines Schlafenden. Manchmal ist es wunderschön und manchma l … ich kann gar nicht schildern, von welchen Dämonen manche Menschen im Schlaf heimgesucht werden. Schuldgefühle sind wie ein Ungeheuer. Reue kann töten. Aber am schlimmsten sind die Erinnerungen. Und doch erhalten gerade sie unsere Leute in Lumatere am Leben.“
„Du musst ja regelrecht Angst davor haben einzuschlafen“, sagte Aldron.
„Ganz und gar nicht. Am Anfang war es sogar wunderschön. Ich erlebte die Seligkeit einer tapferen Frau, die gerade einem Kind das Leben geschenkt hatte.“ Sie blickte Trevanion vielsagend an. „Einer Frau, deren Träume ich zuvor schon einmal belauscht hatte.“
„Sie spricht von Beatriss“, sagte Trevanion ruhig. „Beatriss hat vor fünf Jahren ein Kind zur Welt gebracht.“
„Beatriss?“ Ein Raunen ging durch den Raum. „Was sagst du da, Trevanion?“, fragte Moss. „Soll das heißen, Lady Beatriss is t … sie is t …“
„Sie ist vielleicht noch am Leben. Und vielleicht versucht sie jenen zu helfen, die alles daransetzen, Seranonnas Fluch aufzuheben“, sagte Trevanion mit fester Stimme.
„Und wer könnte das sein?“, fragte einer der Männer. „Nur sehr wenige Anhänger der Sagrami haben die Fünf Tage des Unsagbaren überlebt.“
„Das Kloster“, sagte Perri ruhig. „Es sind die Novizinnen.“
„Die Novizinnen sind zusammen mit den anderen umgebracht worden“, widersprach Moss.
Evanjalin sagte zu Perri: „Die dritte Person, die durch die Träume wandert, ist sehr mächtig; das Kind ist mit ihr ebenso eng verbunden wie mit seiner eigenen Mutter. Ich bin überzeugt, dass sie zwei Seiten hat, eine dunkle und eine helle.“
„Tesadora“, raunte Perri halblaut.
„Du scheinst überzeugt davon zu sein, dass Tesadora und die Novizinnen noch am Leben sind“, sagte Evanjalin.
Perri gab keine Antwort.
„Ist das nun gut oder schlecht?“, fragte einer der Männer ungeduldig. „Was bedeutet es, wenn diese Tesadora in Lumatere das Sagen hat?“
„Seranonna war ihre Mutter“, sagte Trevanion nur.
Finnikin bemerkte die besorgten Blicke der Männer, als der Name der Matriarchin fiel.
„Tesadoras eigene Leute misstrauten ihr wie alle anderen in Lumatere. Man kann nicht gerade behaupten, dass sie behütet aufgewachsen ist. Sie ist sehr schlau und hat eine schwarze Seele“, sagte Perri.
„Dann ist sie genau die Richtige, um den Fluch ihrer Mutter zu brechen“, erwiderte Evanjalin.
„Du irrst dich, wenn du meinst, Lady Beatriss hätte sich mit so jemandem zusammengetan“, beharrte Perri stur. „Die eine war Novizin von Lagrami, die anderen der Sagrami. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Lady Beatriss aus dem Tiefland und Tesadora aus dem Wald einander über den Weg gelaufen sind. Außerdem würde Beatriss ihr eigenes Kind niemals jemandem mit düsterem Gemüt anvertrauen. Tesadora hasst alle Welt und das ist nicht zu unterschätzen.“
„Man vertraut sein Kind demjenigen an, der in der Lage ist, es zu beschützen“, sagte Trevanion.
„Die ander e … Tesador a … begleitet uns nur manchmal“, sagte Evanjalin. „Nie habe ich irgendwelche bösen Gedanken gespürt, allenfalls einen überaus starken Willen. Sie sieht es als ihre Aufgabe an, das Kind zu beschützen, denn sie kommt nur, wenn die Träume dunkel und Furcht einflößend sind. In der vergangenen Nacht haben wir große Trauer miterlebt, aber Tesadora sorgt immer dafür, dass das Kind nichts hört oder sieht, was ihm Schaden zufügen könnte. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welchen Preis Tesadora dafür zahlt.“
„Und du?“, fragte Finnikin. „Wer schützt dich?“
„Mein unerschütterlicher Glaube in die Göttin natürlich.“
Die Männer sahen einander mit einer Mischung aus Neugier und Zweifel an.
Perri fragte
Weitere Kostenlose Bücher