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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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im Hof zusammen. Sie waren so verängstigt, dass sogar die Kinder keinen Ton von sich gaben. Der alte Mann war stolz, die Fremdlinge in Sicherheit gebracht zu haben, und er freute sich auch darüber, jemandem zeigen zu können, wie schlau er all die vielen Menschen versteckt hatte.
    »Aber wenn Sie immer wieder aus- und eingehen, dann werden Sie irgendwann das Versteck verraten«, sagte Asbury.
    »Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, erwiderte der Alte. »Bei mir sind Sie sicher.« Er verzog seinen zahnlosen Mund zu einem Lächeln und schlug sich klatschend auf die Schenkel. »Der gute alte Flinner ist so schnell wie ein Kaninchen.« Und schon zog er wieder los, um noch mehr Menschen in den sicheren Hafen zu bringen.
    Asbury und Christiana erblickten ringsumher Männer, Frauen und Kinder mit eingefallenen Augen und aufgedunsenen Bäuchen. Sie waren nur Haut und Knochen, Menschen, die nach einem kurzen Leben in einem namenlosen Grab verschwanden. Sie hausten in Kellerlöchern und hielten die Bewohner anderer Teile der Stadt der Armen für wohlhabend. Die Türme, die bis vor kurzem jenseits des Flusses geglitzert hatten, waren für sie Wohnsitze der Götter. Sie scheuten sich, zu Asbury und Christiana aufzuschauen, weil die beiden so hochgewachsen waren.
    »Könnt ihr euch zur Wehr setzen, falls wir entdeckt werden?«, fragte Asbury. Er erhielt keine Antwort.
    »Es ist wohl am besten, wir warten ab, bis es dunkel wird«, meinte Christiana. »Aber dann müssen wir diese Leute hier sich selbst überlassen.«
    Der alte Mann brachte noch mehr Überlebende, die sich benommen an die Ziegelpfeiler lehnten und zuschauten, wie an den Rändern glühendheißer Zyklone Wolken aus Rauch und Asche in den Himmel wuchsen. Man konnte kaum sagen, ob es Tag oder Nacht war. Der Lärm der Feuerstürme, Explosionen und Artilleriegeschosse kam aus allen Richtungen.
    Als Asbury und Christiana irgendwann einmal aufblickten, sahen sie, wie der Alte voller Stolz drei kleine, mit schwarzen Jacken bekleidete Männer in das Versteck führte.
    »Das sind sie!«, schrie Asbury. »Sie haben sie hereingelassen!«
    Die Short Tails stießen den Alten zu Boden und wichen zurück. Asbury wandte sich an die anwesenden Männer und forderte sie auf, die Short Tails am Verlassen des Hofes zu hindern. Doch als die Banditen ihre Waffen zückten und sich rückwärts auf den Ausgang zu bewegten, rührte sich niemand.
    Die Short Tails hatten den Hof schon zur Hälfte überquert, als Asbury sich ein Herz fasste und ihnen nachjagte. Christiana folgte ihm auf dem Fuße. Dem ersten Kerl, den er erreichte, versetzte er einen solchen Faustschlag auf die Brust, dass der Getroffene nach einem letzten unartikulierten Japser unverzüglich den Geist aufgab. Die anderen beiden begannen indessen, mit Ketten auf Asbury einzuschlagen.
    In einem wilden Handgemenge gelang es Asbury, einen seiner Gegner zu töten, während der andere entkam. Asbury und Christiana taten alles, um die im Kirchhof versammelten Leute von der Notwendigkeit einer schnellen Flucht zu überzeugen, aber es half nichts. Der Gangster, dem die Flucht geglückt war, hatte längst die anderen Short Tails herbeigeholt. Einige blockierten den Ausgang, andere liefen die Treppe hinauf und bezogen auf dem Dach Stellung; sie sahen dort aus wie Wasserspeierfratzen, die auf Klosterdächern über die Mönche wachen. Wie eine Flut ergossen sich die Short Tails in den Hof der Kirche, und einer, der die anderen zu immer größerer Eile antrieb, trat vor und trommelte sich wie ein Pavian auf die Brust. Als Asbury drohend mit einer Kette rasselte, verschwand der Oberpavian jedoch schleunigst wieder in den Reihen seiner Kameraden. Asbury und Christiana standen neben den beiden Leichen und fragten sich, was wohl geschehen würde, wenn die Short Tails den Mut zum Sturmangriff fänden. Die Kerle auf dem Dach waren mit Bogen bewaffnet, wagten aber nur ab und zu einen Pfeil auf die zitternde Menschenmenge abzuschießen. Wenn diese Pfeile trafen, klang es wie der Hieb einer scharfen Axt, die in totes Holz fährt. Dieses Geräusch flößte den anderen Short Tails schließlich so viel Mut ein, dass sie vorzurücken begannen.
    Aber da kam Athansor aus dem wirbelnden Aschenwind herab. Viermal überflog er in atemberaubender Manier das Dach und schleuderte die auf den Mauern und Türmen postierten »Wasserspeier« in die Tiefe. Dann bemerkten die anderen Short Tails, die gebannt zu dem fliegenden Pferd aufblickten, wie es sich

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