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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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der nur durch verräterische Staubpartikel sichtbar wurde, schien ihn aufzuhellen. Und obwohl dieser Hintergrund nur aus einer wenige Millimeter dicken Farbschicht bestand, führte er das Auge in unbestimmte Tiefe und Weite. Der Anflug eines Lächelns umschwebte Beverlys Lippen. Aus ihrem Blick sprach nicht nur die Gnade und Verzeihung jener, die aus vergangenen Zeiten zu uns herüberschauen, sondern das Wissen um Erhabenes und Schönes brach ihr geradezu aus allen Poren. Daneben wirkte Peter Lake unsicher, verlegen und nicht im gleichen Maß in das strahlende Geheimnis eingeweiht, das Beverly mit solcher Macht und Zuversicht umgab – trotz der verhaltenen Art, mit der ihre linke Hand die Falten blauer Seide berührte, die über ihre Schulter fielen und von einer silbernen Agraffe zusammengehalten wurden. Etwas deutete darauf hin, dass Peter bald alles erfahren sollte. In ihrer Rechten hielt Beverly einen geschlossenen Fächer gegen das Perlgrau ihres Kleides. Zwar war es auf den Porträts nicht sichtbar dargestellt, aber beide hatten dicht nebeneinandergestanden, als der Künstler sie malte. Beverlys linke Hand war nach Peter Lake ausgestreckt, und obwohl sich ihre Hände nicht berührten, hätte jeder, der bei jener Sitzung zugegen gewesen wäre, geahnt, dass sie auf dem Weg zueinander waren.
    Sie waren lebendig! Diese Feststellung war keine bloße Redewendung, keine Floskel oder kein Gleichnis. Sie waren lebendig – und sie hatte alles geschaut!
    »Ihr Name ist Peter Lake, und das war meine Schwester Beverly«, ließ sich Harry Penn vernehmen.
    Peter Lake streckte die Hand aus, als wollte er sagen: »Pst, ich weiß! Natürlich weiß ich es!« Er wusste es sogar genau, was er nun zu tun hatte, obwohl er nicht wusste, wie er es tun sollte. Um sich Mut zu machen, blickte er Beverly ein letztes Mal in die Augen. Dann wandte er sich von dem Porträt ab und verließ den Raum. Harry Penn folgte ihm auf dem Fuße. Er konnte kaum mit ihm mithalten.
    Ohne sich umzudrehen, begann Peter zu sprechen: »Die Sitzung für diese Porträts war an einem herrlichen Tag. Ich wollte unbedingt ins Freie, aber sie brachte mich dazu, von morgens bis abends neben ihr zu stehen. Manchmal, wenn ich müde war vom Stehen, kniete ich auf einem kleinen Schemel hinter ihr. An jenem Tag sah ich nicht ein einziges Mal die Sonne, sondern nur den vollendet blauen Himmel durch den oberen Teil eines Fensters, das nach Norden ging. Später am Abend stellte ich verblüfft fest, dass ich einen ganz schönen Muskelkater hatte und einen Sonnenbrand auf Gesicht und Armen. Beverly sagte, das sei meine Belohnung. Es sei nur ein Teil dessen, das mir noch bevorstünde. Damals wusste ich nicht, was sie meinte, aber jetzt ist mir alles klar.«
    Harry Penn blieb stehen und sah Peter Lake nach, der die Treppen hinab verschwand. Der alte Mann hatte die ihm zugedachte Rolle gespielt. Er kehrte in sein Büro zurück, um wieder die Leitung der Sun zu übernehmen.
    *
    Der dicke, gemütliche, schlitzäugige Cecil Mature war in Rage.
    »Tu dies! Tu das! Tu dies! Tu das!«, sagte er zornig zu seinem Schreibtisch, auf dem stapelweise Bestellformulare, Lieferscheine, lose Blätter, Anfragen, Quittungen und mehrere Dutzend hellrote und blaue Memos herumlagen. Jackson Mead hatte sie ihm alle auf einmal mit dem folgenden Text geschickt: Dringendst! Äußerst wichtig! Dringlichkeitsstufe 1! Tausendprozentige Priorität! Wäre ich ein König aus alten Zeiten, so würde ich Ihnen den Kopf abschlagen lassen, wenn Sie nicht sofort alles erledigen.
    Cecil ballte die Faust und schlug mit ganzer Kraft auf die Tischplatte, sodass ein halbes Dutzend Monitore in schwachem Protest zu flimmern begannen. Er kochte derartig vor Wut, dass seine außerordentlich sanfte Veranlagung Schaden zu nehmen drohte. Diesmal wollte er wie andere Leute richtig außer sich geraten und böse werden. So steigerte er sich in etwas hinein, das nicht in seiner Natur lag. Er sah sich in einen Kampf verstrickt, bei dem böse Einflüsterungen von außen mit seiner leisen, jedoch unerschütterlichen inneren Sanftheit um die Oberhand kämpften.
    »Der sitzt doch nur herum und rührt sich nicht!«, schimpfte Cecil, um sich noch mehr in Fahrt zu bringen. »Er befiehlt und befiehlt und befiehlt. Er macht kaum den Mund auf, nur um Energie zu sparen. Mr Wooley, schicken Sie zwanzigtausend Güterwagen zu den Erzfeldern von Minnesota. Mr Wooley, lassen Sie die Supertanker, die wir in Sasebo auf der Werft haben, in

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