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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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wussten so viel, und doch hatten sie noch immer keine Ahnung.
    Sie hatten Hunderte von Spuren, die ihnen nichts nutzten, solange diese nicht zum Täter führten.
    Sie hatten noch immer ein entführtes Kind, doch weder ein Lebenszeichen noch eine Lösegeldforderung.
    Jost war der Einzige gewesen, der zu dem Entführer Kontakt gehabt, der mit ihm gesprochen hatte. Hatten sie ein Treffen vereinbart? War Jost deshalb nach Krakau gefahren oder weil er, wie Tobler sagte, Denise treffen wollte? Nach Tobler war es darum gegangen, eine Mutter auf der verzweifelten Suche nach ihrem Kind zu begleiten. Er zeigte Henri Fotos, auf denen Denise Winkler zu sehen war, wie sie auf dem Wawel stand. Diese Fotos hatte Jost gegen dreizehn Uhr dreißig an Tobler geschickt.
    Kinder, dachte Myriam. Es geht immer wieder um Kinder.
    Ihre Gedanken nahmen das Wort auf und spannten es weiter wie einen langen Faden. Sie fühlte, dass sie ein Ende in der Hand hielt. Sie musste daran festhalten. Sie durfte den Gedanken nicht verlieren, der sich plötzlich in ihrem Kopf abspulte. Die Idee war nur verschwommen, sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, doch es gelang ihr nicht. Es hatte etwas mit Kindern zu tun …
    Jemand rüttelte sie an der Schulter. Henri.
    »Wach auf.«
    Sie schlug die Augen auf.
    »Was ist los?«
    »Wir sind da.«
    Er deutete auf ein Ortsschild.
Kraków.
    Im Osten ging hinter einem Hügel, der die Form eines künstlichen Vulkans hatte, die Sonne auf. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, schob sie sich nach oben, bis sie hinter dem schwarzen Nebelstreifen scheinbar zum Stehen kam.
    Es war sieben Uhr siebzehn, und der Bus rollte in einem langen Stau auf die Stadtmitte zu.
    »Derselbe Berufsverkehr wie in Frankfurt«, sagte Myriam. »Willkommen in Europa«, antwortete Henri.
    Der Kaffee, den ihnen die polnische Polizei anbot, entsprach nicht dem europäischen Standard. Er bestand aus Kaffeepulver, das man in der Tasse mit heißem Wasser übergossen hatte. Es war eine Kunst, ihn zu trinken, ohne sich einzubilden, Sand zwischen den Zähnen zu haben. Doch das Koffein entfaltete seine Wirkung schnell. Myriam spürte, wie ihr Blutdruck stieg und die Zeit sich zusammenzog.
    »Das hier ist Jarek Maj«, erklärte der Inspektor mit dem komplizierten Namen Kazimierz Halecki. Er war Leiter der Kriminalabteilung in Krakau und konnte sich lediglich in unbeholfenem Englisch und wenigen Brocken Deutsch verständigen. »Spricht Deutsch.«
    Maj war nicht älter als vierundzwanzig. Trotz seiner guten Deutschkenntnisse war die Kommunikation schwierig. Es dauerte, bis er die Ausführungen des Inspektors übersetzt hatte. Am Ende wussten sie nicht viel mehr als vorher. Tatsache war, man hatte Udo Jost aus der Weichsel gezogen. Myriam warf nur einen kurzen Blick auf das Foto der Leiche.
    Die polnischen Beamten gingen davon aus, dass er in dem Wasser mit einer Temperatur von minus vier Grad innerhalb weniger Minuten ertrunken war. Er war alkoholisiert gewesen, und es gab keinen Hinweis auf Fremdeinwirkung.
    »Er hatte fünfzigtausend Euro bei sich«, erklärte Maj.
    »Was?« Myriams Puls beschleunigte sich.
    Der Inspektor nickte und wiederholte den Geldbetrag auf Englisch. »Fiftythousand Euro.«
    »Wozu so viel Geld?«, wunderte sich Myriam. »Woher hatte er es?«
    »Einkaufen wollte er kaum«, bemerkte Henri.
    »Wo hat er gewohnt?«, fragte Myriam.
    »Im Hotel Cracovia, in dem er zuletzt gegen vierzehn Uhr gesehen wurde. Von dort hat er offenbar ein Taxi genommen, mit dem er an die Weichsel gebracht wurde.«
    »Hat dort jemand auf ihn gewartet?«
    Maj schüttelte den Kopf. »Der Taxifahrer sagt, dass er allein war.«
    »Und er hatte fünfzigtausend Euro in der Tasche.« Henri stand auf. »Was hatte er damit vor?«
    »Er wollte sich mit dem Entführer treffen«, erwiderte Myriam. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
    »Aber warum hatte er dann das Geld noch bei sich? Warum hat er es ihm nicht abgenommen?«
    »Vielleicht war er tatsächlich so stark betrunken, dass er ausrutschte und ins Wasser fiel.«
    »Wie viel Promille hatte er?«
    »Nicht mehr als 1,0 Promille«, antwortete Maj.
    »Was hatte er sonst noch bei sich?«
    »Geldbeutel und Reisepass.«
    »Ein Handy?«
    »Nein.«
    »Warum hat niemand hier schon vorher nach Denise Winkler gesucht?«, fragte Henri. »Matecki hatte mir versprochen, dass er sich darum kümmert.«
    Sowohl Maj als auch der Inspektor schwiegen.
    »Was ist?« Myriam spürte, dass etwas nicht stimmte. »Matecki hat keine

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