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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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wussten etwas davon. Vielleicht hatte Josefa eine Ahnung. Aber warum kümmerten sie sich um irgendwelche Gemälde, wenn es um das Leben ihres Kindes ging? Alles, was sie unternahmen, war, ihr eine Reihe von Papieren vorzulegen, die sie unterschreiben sollte.
    Nun wurde ihr Telefon abgehört, ihr Haus überwacht, und rund um die Uhr saßen zwei Beamte unten im Flur und warteten auf ein Zeichen des Entführers.
    Myriam hatte ihr erklärt, dass alles korrekt abgewickelt werden musste und sie keinen Fehler machen durften, denn sie würde dem Entführer später den Prozess machen. Sie würde ihn verurteilen.
    Ich verspreche es dir, hatte sie gesagt.
    Myriam lebte nicht von der Hoffnung. Myriam lebte von ihren Zielen, von ihren Plänen, von ihren Grundsätzen, während sie, Denise, seit jeher Hoffnungen mit Zielen verwechselt hatte, die, seit sie denken konnte, enttäuscht wurden. Die richtige Lehre daraus wäre, sich keine Hoffnungen mehr zu machen, aber so funktionierte es nicht. So lief das Leben nicht. Die Hoffnung stellte sich ein, ohne dass man sie eingeladen hatte. Sie war unberechenbar. Ein ungebetener Gast. Wie eine Krankheit.
    Wie in den Momenten, wenn das Telefon klingelte. Diese gottverfluchte Zuversicht, die flüsterte: »Man hat ihn gefunden. Er ist tot. Mein Kind ist tot und ich lebe.«
    Dann wieder der Wunsch, es könnte der Entführer sein. Damit er seine Bedingungen stellen konnte, die sie erfüllen würde. Damit wieder alles so war wie vorher, als die Welt noch nicht auf dem Kopf stand. Damit ihr Leben ihr wieder gehörte. Damit sie wieder das fühlte, was sie empfand, wenn sie Marathon lief. Kontrolle. Der Körper macht, was du willst. Und wenn du es schaffst, einen Marathon durchzuhalten, dann hältst du auch dein Leben aus.
    Die Enttäuschung, wenn er es nicht war, sondern irgendjemand anders, der besorgt fragte, was los sei. Jeder wusste Bescheid. Der Pfarrer, der Bürgermeister, die Schule, Eltern von Frederiks Freunden, ihre Putzfrau. War es das, was der Entführer wollte? Dass jeder Bescheid wusste? Dass die ganze Welt die Leitung blockierte?
    Und alle wollten helfen. Wobei?
    Der erste Anruf war von einem Jost von der Sendung
Brandheiß
gekommen. Ein Mann hatte sie gedrängt, sie solle ein Interview geben. Als sie ablehnte, hatte er gerufen: »Es ist nur zu Ihrem Nachteil, wenn Sie nicht mit uns sprechen.
    Wenn Sie uns keine Fakten geben, erfinden wir eben welche.«
    Sie hatte den Hörer einfach losgelassen und versucht, Oliver zu erreichen, der sich um einen Rückflug bemühte. Er hatte auf sie eingeredet. Frederik würde zurückkommen. Entführer wollten immer Geld, und sie würden es bezahlen.
    Dann kamen die Vorwürfe. Wenn sie sich schon entschied daheimzubleiben, statt sich um die Firma zu kümmern, dann hätte sie auch daheimbleiben sollen. Das mit dem Marathon sei eine fixe Idee.
    Nein, es spielte für ihn keine Rolle, dass sie sich besser fühlte, seit sie lief. Es interessierte ihn einfach nicht. Er ignorierte es. Die Gleichgültigkeit hatte sich in ihre Ehe geschlichen. Nur Gleichgültigkeit? Oder noch etwas anderes?
    »Du warst nicht zu Hause«, hatte er am Telefon gesagt. »Du hast nicht auf ihn aufgepasst.«
    Hatte er Recht?
    Ja! Verdammt, ja! Die Wirklichkeit schrie: Ja! Ihr kleiner Sohn war verschwunden. Jemand hatte ihn entführt.
    Doch warum?
    Weil sie nicht auf ihn aufgepasst hatte!
    »Du hast nicht auf ihn aufgepasst«, flüsterte Denise. »Du hast nicht auf ihn aufgepasst. Nicht aufgepasst.«
    Die Welle der Angst begann im Hinterkopf, schlug an die Stirn und überflutete ihren Körper. Immer wieder. Unaufhörlich. Denise fand keinen Halt mehr. Alles wurde an die Oberfläche gespült. Alles, was in ihrem Leben schiefgelaufen war. Oliver, ihre Ehe, die Firma.
    Oliver war der Meinung, dass sie Frederik falsch erzog.
    Hatte er Recht?
    Sein Erfolg bestätigte ihn. Er war ein guter Geschäftsmann. Er hatte den Konkurs verhindert.
    Und jetzt, nach dem Tod der Großmutter, würde er die Firma leiten, nicht sie. Nicht ihr Vater. Der in den letzten Jahren immer mehr zum Statisten geworden war, zum Angestellten. Oliver war die Firma.
    Hatte nicht alles damit angefangen, dass sie ihn bei einem Empfang ihrer Großmutter kennen gelernt hatte? Bei dem nur die engsten Freunde eingeladen waren. Einhundert engste Freunde. Niemand hatte so viele Freunde. Am allerwenigsten ihre Großmutter. Und hatte sich diese nicht erst zurückgezogen, als Oliver die Fäden in der Hand hielt?
    Eine Scheidung

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