Wintermond
seines Vaters mitteilen zu müssen, löste Übelkeit in ihr aus. Auf ihrem Genick bildete sich ein dünner, kalter Schweißfilm. Sie hatte den Eindruck, sich übergeben, den schlechten Kaffee loswerden zu müssen.
Schließlich betrat ein Mann in dem grünen Kittel eines Chirurgen den Wartesaal. »Mrs. McGarvey?«
Alle Köpfe drehten sich zu ihm um, und Heather legte die Zeitschrift auf den Tisch neben ihrem Stuhl und stand auf.
»Ich bin Dr. Procnow«, sagte er, als er zu ihr trat. Der Chirurg, der Jack operiert hatte. Er war in den Vierzigern und schlank und hatte lockiges, schwarzes Haar und dunkle, aber klare Augen, die mitfühlend und klug waren - zumindest bildete sie sich das ein. »Ihr Mann liegt jetzt im Aufwachzimmer. Wir verlegen ihn bald auf die Intensivstation.« Jack lebte.
»Wird er wieder gesund werden?«
»Er hat gute Chancen«, sagte Procnow.
Seine Kollegen reagierten enthusiastisch, aber Heather war vorsichtiger, wollte sich dem Optimismus nicht so schnell hingeben. Nichtsdestoweniger zitterten ihr vor Erleichterung die Beine. Sie befürchtete, jeden Augenblick zusammenzubrechen. Als hätte Procnow ihre Gedanken gelesen, führte er sie zu einem Stuhl. Er zog einen zweiten heran und nahm ihr gegenüber Platz.
»Zwei der Verletzungen waren besonders schwer«, sagte er.
»Die im Bein und die rechts unten im Unterleib. Er hat viel Blut verloren und war in einen tiefen Schock gefallen, als die Sanitäter ihn versorgten.«
»Aber wird er wieder gesund werden?« Sie spürte, daß Procnow zögerte, ihr alles zu sagen.
»Wie ich schon sagte, er hat eine gute Chance. Aber er ist noch nicht über dem Berg.«
Emil Procnows tiefe Sorge war deutlich aus seinem freundlichen Gesicht und den Augen zu lesen, und Heather ertrug es nicht, das Objekt eines so grundlegenden Mitgefühls zu sein, weil es bedeutete, daß es vielleicht Jacks geringste Herausforderung gewesen war, die Operation selbst zu überstehen. Sie konnte dem Chirurgen nicht in die Augen sehen und senkte den Blick.
»Ich mußte seine rechte Niere entfernen«, sagte Procnow, »doch ansonsten hat er bemerkenswert wenige innere Verletzungen erlitten. Ein paar kleinere Probleme mit Blutgefäßen, eine Einkerbung des Dickdarms. Aber wir haben die betreffende Stelle gesäubert, den Schaden repariert, einen künstlichen Darmausgang gelegt und halten ihn unter Antibiotika, um eine Infektion zu verhindern. Da gibt es keine Probleme.«
»Man kann doch mit...mit einer Niere leben, oder?«
»Ja, sicher. Diese Verletzung wird seine Lebensqualität nicht im geringsten beeinträchtigen.«
Aber was wird seine Lebensqualität beeinträchtigen, welche andere Verletzung, welcher Schaden? wollte sie fragen, brachte den Mut jedoch nicht auf. Der Chirurg hatte lange, schmale Finger. Seine Hände schienen schlank, aber kräftig zu sein, wie die eines Konzertpianisten. Sie sagte sich, daß Jack keine bessere Versorgung hätte erhalten können, als diese Hände geleistet hatten.
»Zwei Dinge bereiten uns Sorgen«, fuhr Procnow fort. »Ein schwerer Schock kann im Zusammenhang mit großem Blutverlust manchmal Auswirkungen auf...das Gehirn haben.«
O Gott. Bitte, nicht das.
»Es hängt davon ab«, sagte er, »wie lange die Blutzufuhr zum Gehirn vermindert und wie schwer diese Verminderung war, wie lange das Gewebe ohne Sauerstoffversorgung geblieben ist.«
Sie schloß die Augen. »Sein EEG sieht gut aus, und wenn ich eine Prognose stellen müßte, würde ich sagen, daß kein Gehirnschaden eingetreten ist. Wir haben jeden Grund, optimistisch zu sein. Aber wir werden es erst genau wissen, wenn er das Bewußtsein zurückerlangt hat.«
»Und wann wird das sein?«
»Das kann man nicht sagen. Wir müssen einfach abwarten.«
Vielleicht nie. Sie öffnete die Augen und kämpfte gegen die Tränen an, doch es gelang ihr nicht ganz. Sie nahm ihre Handtasche vom Tisch und öffnete sie.
»Da ist noch etwas«, sagte der Arzt, während sie sich die Nase putzte und die Augen abtupfte. »Wenn Sie ihn auf der Intensivstation besuchen, werden Sie feststellen, daß wir ihn mit einer Zwangsjacke und Bettgurten unbeweglich gemacht haben.«
Endlich erwiderte Heather wieder seinen Blick.
»Eine Kugel oder ein Kugelfragment hat das Rückenmark verletzt. Das Rückgrat ist geprellt, aber wir haben keine Fraktur feststellen können.«
»Eine Prellung. Ist das etwas Ernstes?«
»Es kommt darauf an, ob Nervenbahnen verletzt wurden.«
»Eine Lähmung?«
»Das können wir erst
Weitere Kostenlose Bücher