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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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als das eines Säugetiers, eine rasende kleine Pumpe, ratta-ratta-rattaratta-ratta. Es war immer leicht wahrzunehmen, weil der gesamte Körper von den Schlägen widerhallte.
    Das Herz der Krähe schlug eindeutig nicht. Soweit Eduardo es sagen konnte, atmete der Vogel auch nicht. Und sein Hals war gebrochen. Er hatte gehofft, die gewissermaßen wunderbare Fähigkeit des Reisenden beobachten zu können, ein totes Geschöpf wieder zum Leben zu erwecken. Doch die Wahrheit war dunkler als das. Die Krähe war tot. Trotzdem bewegte sie sich. Vor Abscheu zitternd, nahm Eduardo die Hand von dem kleinen, zuckenden Kadaver. Der Reisende konnte die Kontrolle über einen Kadaver wiederherstellen, ohne das Tier wiederzubeleben. Er hatte zu einem gewissen Ausmaß Macht über das Belebte wie über das Unbelebte. Eduardo wollte verzweifelt den Gedanken an die Konsequenzen dieser Entdeckung ausweichen. Aber er konnte seinen Verstand nicht einfach ausschalten. Er konnte diese Frage nicht länger ignorieren, auch wenn er sich vor ihr fürchtete. Wären die Waschbären auch von einem Zittern durchlaufen worden, wenn er sie nicht sofort zu dem Tierarzt gebracht hätte? Hätten sie sich wieder aufgerichtet, kalt, aber bewegungsfähig, tot, aber belebt? In dem Sieb schwankte der Kopf der Krähe locker auf dem gebrochenen Hals, und mit einem schwachen Klicken öffnete und schloß sich ihr Schnabel. Vielleicht waren die vier toten Eichhörnchen doch nicht von der Wiese fortgetragen worden.
    Vielleicht hatten diese Kadaver trotz der Leichenstarre auf den beharrlichen Ruf ihres Puppenspielers reagiert. Kalte Muskeln hatten sich unbeholfen gebogen und zusammengezogen, starre Gelenke hatten geknackt und waren eingeschnappt, als man sie plötzlich einer Belastung ausgesetzt hatte. Selbst als ihre Kadaver in ein frühes Stadium des Verfalls übergegangen waren, hatten sie vielleicht noch gezuckt und die Köpfe gehoben, waren los-gekrochen und hatten sich von der Wiese geschleppt, in den Wald, in den Bau des Dings, das sie beherrschte. Denke nicht darüber nach. Hör auf. Um Gottes willen, denke an etwas anderes. Egal was. Nicht daran, nicht daran. Wenn er die Krähe aus dem Sieb nahm und nach draußen brachte...würde sie dann mit den gebrochenen Flügeln schlagen und über den Boden kriechen, den Hügel hinauf, auf einer alptraumhaften Wallfahrt in die Finsternis der Wälder hinter dem Haus? Würde er es wagen, ihr in dieses Herz der Dunkelheit zu folgen? Nein. Nein, falls es zu einer letzten Konfrontation kommen sollte, mußte sie hier erfolgen, auf seinem Territorium, nicht in dem fremden Nest, das der Reisende sich geschaffen hatte. Eduardo gefror das Blut in den Adern, als ihm der Gedanke kam, daß der Reisende vielleicht in einem so extremen Ausmaß fremdartig war, daß er die Wahrnehmung der Menschen von Leben und Tod gar nicht teilte, gar keine Linie zwischen den beiden Zuständen zog. Vielleicht waren die Mitglieder seiner Art unsterblich.
    Oder sie starben in einem biologischen Sinn, wurden aber aus ihren verfallenden Überresten in einer anderen Form wiedergeboren - und gingen einfach davon aus, daß dies auch für die Wesen dieser Welt galt. Die Natur ihrer Spezies - besonders ihre Beziehung zum Tod mochte in der Tat sogar wesentlich bizarrer, perverser und abstoßender sein, als er es sich vorstellen konnte. In einem unendlichen Universum war die mögliche Zahl intelligenter Lebensformen ebenfalls unendlich - wie er aus den Büchern erfahren hatte, die er in letzter Zeit gelesen hatte. Theoretisch rnußte in einer unendlichen Weite alles existieren, was man sich nur vorstellen konnte. Wenn man sich auf außerirdische Lebensformen bezog, bedeutete fremd wirklich fremd, so fremd wie nur denkbar, eine Ungewöhnlichkeit um die andere gehüllt, niemals leicht erschließbar und eventuell jenseits allen menschlichen Begriffsvermögens. Er hatte schon oft über diesen Themenkomplex nachgedacht, doch erst jetzt wurde ihm endgültig klar, daß er wahrscheinlich eine genauso große Chance hatte, diesen Reisenden zu verstehen, ihn wirklich zu verstehen, wie eine Maus die Chance hatte, die Komplexität menschlicher Erfahrungen und die Arbeitsweise des menschlichen Verstandes zu verstehen. Die tote Krähe erzitterte, zuckte mit den gebrochenen Beinen. Aus ihrem verdrehten Hals kam ein feuchtes Krächzen, das eine groteske Parodie des Schreis einer lebendigen Krähe war. Eine geistige Dunkelheit füllte Eduardo aus, denn nun konnte er nicht mehr die

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