Wintermond (German Edition)
mir dir rede.“
Alex’ Augen weiteten sich vor Zorn. Er ballte seine Hände zu Fäusten, spürte dabei, wie seine Fingernägel sich in seine Handinnenflächen bohrten. Er wollte mit niemandem reden und fühlte sich durch das Verhalten seines Vaters so sehr bedrängt, dass er sich stark beherrschen musste, um nicht auszurasten. Er musste schnauben, während er die Treppe hinauflief und in der oberen Etage angekommen durch den Flur hetzte. Er fühlte sich fast wie auf der Flucht, als er hinter sich hörte, wie sein Vater die Treppe ebenfalls hinaufschritt und ihn im oberen Flur schnell einholte.
Alex atmete schwer. Er konnte förmlich spüren, wie sein Körper Adrenalin freisetzte und sich sein Puls beschleunigte. Er ging noch weiter bis zu seiner Zimmertür, ergriff die Türklinke und zögerte dann. Eigentlich wollte er eintreten, andererseits hatte er solch eine Wut auf seinen Vater, dass er diesen am liebsten anschreien wollte - jetzt, in exakt diesem Moment.
Im Augenwinkel sah er, wie Jo schließlich neben ihm zum Halt kam und ihn von der Seite anstarrte.
„Was ist mit deinem Hund passiert?“, fragte Jo und atmete erschöpft zwischen seinen Worten. Die körperliche Anstrengung des Hinterhereilens hatte ihm offensichtlich zu schaffen gemacht.
„Er heißt Sam“, gab Alex korrigierend zurück.
Er biss seine Zähne zusammen und spürte dabei, wie seine Gesichtsmuskeln sich stark anspannten. Verärgert ließ er von der Türklinke ab, wandte sich um und erwiderte den Blick seines Vaters mit hasserfüllten Augen.
„Wie du willst“, erwiderte Jo. „Dann eben so. Was ist mit Sam passiert?“
„Er ist tot, falls du’s noch nicht bemerkt hast“, entgegnete Alex kühl.
„Wie konnte das passieren?“, fragte Jo und klang dabei mehr wie ein Polizist, der es berufsbedingt gewohnt war, schmerzhafte Fakten zu hinterfragen.
„Was weiß ich ...“, erwiderte Alex und versuchte dabei den stärker werdenden Zorn in sich zu zügeln. Auch wenn es vielleicht nicht so war, fühlte er sich von seinem Vater provoziert und war wütend darüber, dass dieser ihn derart bedrängte und einfach nicht zu akzeptieren schien, dass Alex erst einmal Zeit für sich brauchte. Jo benahm sich nicht wie ein Vater, der sich um seinen Sohn sorgte, sondern wie ein Beamter, der das Geschehene pflichtbewusst zu analysieren versuchte. Dieser Gedanke widerte ihn an. Es war unglaublich, dass Jo so unsensibel war, obwohl er wissen musste, wie viel Sam Alex bedeutet hatte.
„Ich hoffe, du siehst nur so schlampig aus, weil du deinen Hund beerdigt hast“, sagte Jo dann und deutete dabei auf Alex’ dreckige Hände.
Der Blonde wurde nur umso erregter. Sein Herz schlug fest gegen seine Brust, seine Hände formten sich erneut zu Fäusten. Er konnte nicht länger an sich halten und begann auszurasten.
„ER HEISST SAM, VERDAMMT NOCHMAL!“, fuhr er seinen Vater laut an.
Dieser zuckte daraufhin erschrocken zusammen, bevor er wieder seine altbekannte emotionslose Miene aufsetzte und seinen Kopf dabei fassungslos schüttelte. Alex wusste, was diese Geste bedeutete, denn er kannte seinen Vater gut genug. Dieser wollte ihm mit dem Kopfschütteln nichts anderes andeuten, als dass Alex mit seinem Verhalten übertrieb. Genau das machte Alex noch zorniger. Er war kurz davor seinem Vater etwas Neues an den Kopf zu werfen, als plötzlich Ben hinter ihm aus dem Bad trat. Alex musterte ihn flüchtig. Der Dunkelhaarige hatte offenbar geduscht und stand nun barfuß im Flur. Er trug lediglich eine Jeans und ein weißes T-Shirt. Als der Dunkelhaarige zu merken schien, dass er mitten in ein Wortgefecht zwischen Jo und Alex geraten war, blieb er ratlos vor der Badezimmertür stehen und wirkte dabei fast so, als ob er keine weitere Bewegung mehr wagte. Normalerweise hätte Alex diese Tatsache wild gemacht und er hätte den Streit zwischen sich und seinem Vater beendet. Doch in jenem Moment hatten sich seine Emotionen derart hochgeschaukelt, dass ihm alles um ihn herum egal war.
„Und wo hast du dich die ganze Nacht herumgetrieben?“, hakte Jo an Alex gewandt weiter nach und schien sich ebenso wenig von Bens Anwesenheit irritieren zu lassen.
Alex wandte sich wieder von Ben ab und blickte seinem Vater fest in die Augen. Jos Gesicht wirkte mit einem Mal alt und verbraucht. Dessen ganze Art erinnerte Alex beinahe an den Spanier, dem er das Geld schuldete. Er hatte längst keine sonderlichen Erwartungen mehr an seinen Vater gestellt, doch wenigstens so viel
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