Wintermond (German Edition)
oder die Dinge vorab mit ihm besprechen können? Zusammen wären sie sicher zu einer besseren Lösung gekommen. Doch es schien Alex’ Art zu sein, bestimmte Angelegenheiten allein klären zu wollen. Er war ein typischer Einzelgänger, der sich von nichts und niemandem aus dem Konzept bringen ließ.
Trotzdem hätte er mit Ben reden und ihn nicht in einer derart aufgeschmissenen Verfassung zurücklassen sollen.
All das, was gestern zwischen ihm und Alex vorgefallen war, erschien ihm plötzlich als völlig abwegig und fern. Mit einem Mal glich alles wieder dem Zustand vor wenigen Tagen und damit genau dem Verhältnis, das zu Beginn seines Praktikums zwischen ihm und Alex geherrscht hatte.
Er war wütend auf Alex und war diese aufgebrachten Emotionen mittlerweile gewohnt. Er verfluchte den Blonden für das, was er vorhatte und insbesondere dafür, ihn nicht mit in seine Pläne eingeweiht zu haben. Er verfluchte ihn, weil er sich immer die unpassendsten Momente aussuchte, um irgendetwas in seinem Leben zu verändern. Sein Verhalten war egoistisch und naiv. Naiv aus dem Grund, dass Alex sich offenbar alles ganz unkompliziert vorstellte. Er schien zu glauben, einfach zur Polizei gehen zu können, ein paar Dinge auszuplaudern und sein Gewissen damit zu bereinigen. Doch über die möglichen Konsequenzen schien er sich keine Gedanken gemacht zu haben. Außerdem gab es noch einen gewissen Kerl namens Diego, der offenbar mit in der ganzen Sache hing.
Es kam Ben tatsächlich so vor, als ob der Blonde nicht ausreichend über sein Vorhaben nachgedacht hatte. Genau das ärgerte ihn. Jetzt stand er hier, in irgendeinem Hotelzimmer, und musste abwarten. Außerdem hätte er Alex gern zur Geldübergabe begleitet. Er befürchtete nämlich, dass es eventuell weitere Probleme geben würde. Das war einfach ein instinktives Gefühl, das aus seinem Inneren hervorstach.
Wieder erinnerte er sich daran, dass Alex ihn gebeten hatte, keine Panik zu bekommen, aber das war durchaus leichter gesagt als getan. Alex war ja auch nicht derjenige, der sich nun völlig hilflos vorkam und sich Sorgen machen musste. Für ihn schien alles ganz einfach zu sein. Das war schon fast etwas erschreckend, denn selbst wenn er unbedingt einen klaren Kopf für einen Neuanfang brauchte, musste er bei seinem Handeln eigentlich auch an Ben denken. Doch das hatte er offenbar nicht getan und genau so funktionierte weder eine Freundschaft noch eine Beziehung. Alex hätte Ben einweihen müssen. Immerhin hatte der Dunkelhaarige derweilen genug von all seinen Problemen mitgekommen. Alex hätte also wissen müssen, dass Ben ihn weder verurteilen noch verachten würde, ihm lediglich hätte helfen wollen.
Nach einer ganzen Weile schritt Ben zum Bett zurück und setzte sich. Er atmete aufgeregt ein und aus. Er nahm den Brief wieder hoch und bemerkte erst bei dieser Geste, dass er das Papier in seiner Wut unbewusst zerknittert hatte. Also glättete er es ein wenig und warf dann einen weiteren Blick in den Brief. Er nahm die letzte Seite nach vorn, überflog einige Zeilen und begann damit, ein paar Teile des Briefes erneut zu lesen.
„ Das klingt jetzt vielleicht verrückt oder wahnsinnig, aber ich muss den ganzen Scheiß einfach hinter mir lassen, um neu anfangen zu können. Ich will gestehen oder aussagen oder wie auch immer man das nennt, was ich in meiner Situation tue. Erst wenn ich das getan hab, fühl ich mich bereit für einen Neuanfang. Dann würde nichts mehr zwischen uns stehen. “
Ben las die Sätze wieder und wieder. Er konnte kaum glauben, dass es Alex war, der diese Worte geschrieben hatte. Sie passten nicht zu seinem Charakter. Generell war es ziemlich untypisch für den Blonden, einen sentimentalen Brief zu hinterlassen.
An dem letzten Satz dieses Absatzes blieb Ben schließlich hängen.
„ Dann würde nichts mehr zwischen uns stehen. “
Ben wusste nicht, ob ihm zum Weinen oder viel mehr zum Lachen zumute war. Wie hatte Alex sich das Ganze nur vorgestellt? Wieso war der Blonde nur der Meinung, dass erst ein Geständnis bei der Polizei nötig sein musste, bevor sie ihre Beziehung sorgenfrei weiter führen konnten? Es gab doch nicht nur diese Option.
Ben musste stark schlucken. Er war verzweifelt. Gleichzeitig wurde seine Sorge um Alex immer größer. Er war noch immer wütend über dessen voreilige Entscheidung, zur Polizei zu gehen, doch zeitgleich wurde ihm plötzlich bewusst, dass Alex das Ganze auch zu einem großen Teil für ihn tat. Diese
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