Wintermond (German Edition)
schließlich mutig auf die Klingel.
Dann wartete er. Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen und entlud seine Nervosität, indem er an seinem Schlüsselbund spielte. Vermutlich vergingen nur ein paar Sekunden, doch die kamen Ben wie eine Ewigkeit vor. Er wollte sich gerade von der Tür abwenden und gehen, als diese sich plötzlich doch noch öffnete und Ben sich daraufhin unmittelbar vor Jo wiederfand. Alex’ Vater blickte ihn skeptisch an, als ob er mit Bens plötzlichem Auftauchen nichts anfangen konnte.
Ben drehte an einem seiner Schlüssel und blickte schüchtern zu Boden. Normalerweise war er selbstbewusster, doch in jenem Moment fühlte er sich kleiner und hilfloser als je zuvor.
„Ähm ...“, begann er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er wusste nicht, wie er das Gespräch beginnen sollte.
Reiß dich gefälligst zusammen , befahl er sich selbst und zwang sich, sich zusammenzunehmen.
Erst nach einer ganzen Weile blickte er schließlich wieder auf und stopfte den Schlüsselbund entschlossen in seine Jackentasche.
„Ist Alex hier?“, fragte er und klang dabei strenger, als er gewollt hatte.
Jo musterte ihn argwöhnisch.
„Siehst du sein Auto irgendwo?“, gab er schroff zurück.
Ben blickte nervös von links nach rechts und trat schließlich einen weiteren Schritt auf Jo zu.
„ War Alex hier?“, korrigierte er seine Frage dann.
„Habt ihr euch etwa gestritten?“, fragte Jo zurück. Er klang schon fast ein wenig zynisch.
Ben musste sich wirklich zusammenreißen, um nicht lauter und aufgebrachter zu werden. Er wollte eine Antwort auf seine Frage. Mehr nicht.
„Das geht dich nichts an“, erwiderte er deshalb.
Er war selbst ganz erstaunt, wie unhöflich er sich gegenüber Jo verhielt. Vor nicht mehr als einer Woche hatte er dem Architekten stets nach dem Mund geredet und hätte niemals gewagt, sich verbal mit ihm anzulegen.
„Was willst du hier, Ben?“, fragte Jo und versuchte offenbar, etwas sachlicher zu klingen. „Wenn du wegen des Praktikumszeugnisses gekommen bist ...“, er pausierte, drehte sich zu der Kommode, die im Eingangsbereich stand, um und griff nach einem in Klarsichtfolie verpackten Wisch, „... bitte sehr!“, er streckte Ben das Stück Papier entgegen. „Ich habe dir ein gutes Zeugnis erstellt. Das hast du dir verdient, weil deine Arbeit sehr gut war. Sieh es außerdem als kleine Entschuldigung dafür, dass ich dich wegen der Sache mit dem Safe verdächtigt habe.“
Ben starrte gedankenverloren auf das Blatt Papier. Er konnte nicht glauben, dass Jo ihn tatsächlich mit einem billigen Praktikumsbericht abzufertigen versuchte. Er war entsetzt, blickte wieder auf und funkelte Jo fassungslos an.
„Ich will kein Scheißzeugnis!“, fauchte er. „Ich will wissen, wo Alex steckt.“
Jo zeigte keinerlei mimische Reaktion auf Bens Verhalten. Er stand lediglich da und blickte Ben kritisch an.
„Was maßt du dir eigentlich an?“, fragte er dann in einer unpassend ruhigen Art und Weise.
Ben schnaubte cholerisch. Er könnte Jo von Alex’ Vorhaben erzählen, doch wusste er nicht, ob dies letztendlich eine gute Entscheidung sein würde. Also behielt er die ganze Angelegenheit erst einmal für sich und versuchte, sich wieder zu beruhigen.
„Jo, bitte!“, flehte er und hoffte, dass vielleicht diese neue Masche bei ihm ziehen könnte. „Beantworte mir doch einfach die Frage, ob Alex hier war ... und falls ja, ob er irgendetwas gesagt hat!“
Jo blickte ihn verbittert an. Für einen Moment sah es aus, als ob er unschlüssig darüber war, Ben eine Antwort zu geben oder nicht.
„Bitte!“, wiederholte der Dunkelhaarige sich nachdrücklich.
Doch Jo schüttelte lediglich den Kopf.
„Nimm dein Zeugnis und verschwinde!“, befahl er streng, trat unterdessen einen Schritt nach vorn und presste die Klarsichtfolie in Bens linke Hand. Dann wandte er sich ab und griff nach der Türklinke.
Ben wusste, dass Jo ihm die Tür vor der Nase zuschmeißen würde. Doch das musste er verhindern. Deshalb schritt er schnell nach vorn und quetschte seinen Fuß in genau dem Moment zwischen sich und die Tür.
„Was soll der Quatsch?“, fragte Jo daraufhin missmutig und nahm die massive Tür wieder ein Stück zurück.
„Bitte lass mich rein! Dann erklär’ ich dir alles“, erwiderte Ben.
Seinen Fuß ließ er sicherheitshalber noch weiterhin hinter der Türschwelle. Er wusste, dass er sich mit seiner letzten Aussage dazu verpflichtet hatte, Jo in einiges einzuweihen.
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