Wintermond (German Edition)
an Ben, fühlte mit Ben, sehnte sich nach Ben. Es war fast wie eine hartnäckige Krankheit, mit der man sich allerdings gern infizierte.
Er hatte starke Gefühle für Ben entwickelt und der Vortag hatte diese Erkenntnis noch einmal deutlich verfestigt. Ben war das Beste, was ihm in seinem bisherigen Leben passiert war. Der Dunkelhaarige war für ihn da, half ihm, setzte sich für ihn ein, kämpfte für ihn. Ja, brachte ihn sogar zum Lachen. Alex wusste nicht, wann er vor dem gestrigen Nachmittag das letzte Mal so herzhaft gelacht und so eine Menge Spaß gehabt hatte. Hinzu kam der gute Sex. Nie zuvor hatte er mit irgendjemandem so heftige Ekstasen erlebt und nie zuvor war er auf eine so ehrliche Art und Weise mit jemandem intim geworden.
Er hatte sich tatsächlich in Ben verliebt. Er begehrte jeden einzelnen Zentimeter des Dunkelhaarigen und jede Sekunde ohne ihn fühlte sich verloren an. All diese Gedanken waren absurd und passten im Grunde überhaupt nicht zu seinem Charakter, dennoch waren sie vorhanden und fühlten sich dabei nicht einmal schlecht an. Im Gegenteil. Es war ein schönes Gefühl, verliebt zu sein und gleichzeitig geliebt zu werden und es war beruhigend zu wissen, dass es jemanden gab, dem man eine Menge bedeutete und der auf einen wartete.
Alex presste die Lippen zusammen und drückte nebenbei seine zweite Zigarette aus. Dann warf er einen weiteren Blick auf die Uhr. Jetzt war es kurz nach halb neun.
Alex fluchte innerlich. Die Zeit schien nicht zu vergehen.
Nun war jedoch der Zeitpunkt gekommen, an dem er es nicht mehr in seinem Wagen aushielt. Deshalb nahm er den Aktenkoffer, drehte sich nach hinten und legte ihn in den hinteren Fußraum.
Das erschien ihm in dieser Gegend als bedeutend sicherer. Dann zog er den Schlüssel aus der Zündung und stieg aus. Er verriegelte seinen Wagen und lehnte sich gleich darauf gegen dessen schwarze Karosserie. Er hoffte, dass Diego bald kommen würde, um dem Ganzen endlich ein Ende zu bereiten. Doch der Italiener war nirgends zu sehen.
Alex stöhnte genervt auf. Tief in seinem Inneren fürchtete er die Konfrontation mit Diego - nach allem, was geschehen war. Er fühlte sich der ganzen Szene nicht mehr zugehörig und verband mit Diego ausschließlich negative Erlebnisse. Der Italiener hatte ihn zu den illegalen Pokerspielen gezerrt und deshalb maßgeblich dazu beigetragen, in welche negative Richtung sich Alex’ Leben seit jenem Tag verändert hatte. Hinzu kam die Sache mit dem Einbruch und dem Studenten. Ohne Diego wäre Alex niemals in etwas Derartiges hineingeraten. Er verfluchte sich selbst, nicht rechtzeitig auf seinen Verstand gehört zu haben. Dann wäre es vermutlich gar nicht erst so weit gekommen. Doch gleichzeitig konnte er sich auch sehr gut in seine damalige Lage zurückversetzen. Er hatte sich verschuldet und gleichzeitig niemanden gehabt, der sich für sein Leben interessiert hatte. Nicht einmal sein eigener Vater. Hinzu waren all die Drohungen der Typen vom Pokern gekommen, die ihn psychisch so unter Druck gesetzt hatten, dass er den Einbruch letztendlich als einzige Möglichkeit gesehen hatte.
Alex schluckte.
Er stand in einer Straße, in der er nicht stehen wollte, wollte sich mit jemandem treffen, den er verachtete und musste etwas erledigen, für das er sich schämte.
Ein brennendes Unwohlsein kam in ihm auf und füllte ihn nun doch mit etwas Angst. Er fühlte sich fremd in dieser Gegend, irgendwie verloren. Alles kam ihm mit einem Mal so falsch vor. Plötzlich wurde er unsicher und begann zu befürchten, dass die schmierige Szene, aus dessen Fängen er sich dank Bens Hilfe erfolgreich befreit hatte, ihn erneut verändern würde. Es war ein merkwürdiger Gedanke, den er sich selbst kaum erklären konnte. Er hatte das Gefühl, in dieser Gegend mindestens genauso aufzufallen wie ein Weißer inmitten von Schwarzen. Vielleicht würde man ihm all seine Veränderungen anmerken und den geplanten Neuanfang in ihm erkennen. Aber er wollte nicht enttarnt werden, weil er wusste, dass er sich damit automatisch zu einem Opfer machen würde.
Also musste er stark und selbstbewusst bleiben und jegliche Emotionen aus seinem Körper verbannen. Nur wenn er sich gleichgültig und kühl benahm, würde er gut durch die Sache durchkommen. Das wusste er.
Diego war noch immer nirgends zu sehen. Alex wollte seinen Wagen gerade noch einmal öffnen, um die Zeit mit einer weiteren Zigarette zu schinden, als plötzlich ein ihm bekanntes Auto auf ihn zurollte.
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