Wintermond (German Edition)
so unbegreiflich für ihn, dass sie schon fast ein schlechtes Gewissen in ihm auslösten.
„Ich versteh’ dich nicht“, sagte er deshalb und war ruhig geworden. „Was findest du an mir?“
Ben lachte schüchtern und tat einen weiteren Schritt auf Alex zu. Er hob seine freie Hand und streifte ihm eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Diese eigene Geste beobachtete er nachdenklich und schaute Alex daraufhin noch tiefer in die Augen. Seine Hand ließ er auf dessen Wange.
„Ich finde sehr viel an dir“, erwiderte er leise, fast flüsternd. „Du siehst gut aus, hast schöne Augen, bist intelligent“, er stockte einen Moment lang und lächelte verträumt. „Du bist stark, du bist mutig und individuell“, er pausierte erneut. „Und gleichzeitig kannst du einfühlsam und liebevoll sein. Man kann tiefsinnige Gespräche mit dir führen und du bist gut im Bett“, er lachte kurz leise auf und wurde dann wieder etwas ernster. „Alex, du hast mich von Anfang an fasziniert. Ich lern’ jeden Tag neue Seiten an dir kennen. Du unterscheidest dich von all den anderen. Du bist etwas Besonderes. Das hab’ ich von Anfang an gewusst. Du machst mich verrückt und bringst mich völlig durcheinander und genau deshalb ...“, plötzlich stockte er und senkte den Blick mit zusammengepressten Lippen.
Alex blickte ihn skeptisch an. Er wollte, dass er weiter sprach.
„Was?“, fragte er deshalb heiser. Zu mehr Stimme war er in jenem Moment nicht fähig.
Ben biss sich auf die Unterlippe und brauchte noch etwas Zeit, bis er schließlich wieder zu ihm aufsah. Er sah ernst und geistesabwesend aus.
„Deshalb liebe ich dich.“
Alex schaute ihn mit großen Augen an. Er spürte, dass die ganze Situation intimer war, als alles andere, was sie bisher miteinander erlebt hatten.
„Ich liebe dich über alles“, wiederholte Ben sich noch einmal etwas deutlicher und blickte ihn noch ernster an.
Alex fühlte ein Kribbeln in seinem Inneren aufsteigen. Er wusste nicht, ob es Bens Worte oder der intensive Blick des Dunkelhaarigen war, der ihn in jenem Moment auf eine sonderbare Art und Weise erregte. Es war nicht die Lust auf Sex, die in ihm aufkam, sondern eine betäubende Benommenheit, die ihn völlig aus der Bahn riss.
Er wollte etwas erwidern, war aber zu keinen Worten fähig. Sie hatten sich ihre Gefühle nun schon öfter gestanden, doch niemals zuvor hatten die Worte so ehrlich und aufrichtig geklungen wie in diesem Moment. Der Gedanke daran jagte einen kalten Schauer über Alex’ Rücken. Nur beiläufig nahm er wahr, wie Ben sich allmählich vorbeugte und ihn offenbar küssen wollte. Zu gern hätte er sich auf diesen Kuss eingelassen, doch erschien ihm die Gegend und die Situation, in der sie sich befanden, als viel zu unpassend. Er konnte sich nicht gänzlich fallen lassen. Deshalb wich er Bens Annährung letztendlich aus und warf gleich darauf ein entschuldigendes Lächeln in dessen Richtung.
„Nicht hier“, erklärte er leise.
Ben nahm seinen Kopf wieder zurück und nickte anschließend.
Dann trat Stille ein. Keiner der beiden schien zu wissen, was er sagen sollte. Alex fragte sich, ob Ben sich vor den Kopf gestoßen fühlte und spürte dabei erneut ein schlechtes Gewissen in sich aufkommen. Er hätte Bens Worte gern erwidert und ihn ebenso gern geküsst, doch viel zu groß war die Angst, dass Diego plötzlich auftauchen und den romantischen Moment zerstören könnte. Deshalb würde er sich zu einem späteren Zeitpunkt revanchieren. Die Situation war dennoch recht unangenehm.
„Und jetzt?“, versuchte er das Schweigen deshalb zu unterbrechen. „Du kannst nicht hier bleiben. Du kennst Diego nicht. Der macht dich fertig. Allein schon, weil er weiß, dass du schwul bist.“
Ben zuckte mit der Schulter und trat einen Schritt von Alex weg.
„Ich will nicht, dass du zur Polizei gehst“, sagte er dann und blickte gequält zu Alex auf. „Du hast doch gar nicht so viel verbrochen und ... und Jo und ich würden dir helfen. Wir finden einen guten Anwalt und dann kriegen wir das schon hin.“
Er wirkte sehr aufgeregt. Die sentimentale Szene von eben war längst wieder vergessen.
Alex überlegte einen Moment lang. Mittlerweile schien Ben ihn bereits ausreichend bekehrt zu haben. Er sah die Argumente des Dunkelhaarigen ein und war froh, nicht allein mit all seinen Problemen dazustehen.
„Ja, vielleicht hast du Recht ...“, sagte er deshalb gedankenverloren.
„Natürlich hab’ ich Recht!“, entgegnete Ben sofort.
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