Wintermond (German Edition)
aufgehört haben, sich zu bewegen. Seine blutige Hand hing nur noch schlaff in der von Alex.
Dieser riss seine Augen panisch auf. Sein Herz hämmerte wie wild gegen seine Brust. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und konnte dem Anblick kaum standhalten. Er ließ von Bens Hand ab, krallte sich stattdessen in dessen Jacke und begann wie wild an dem Dunkelhaarigen zu rütteln.
„BEN!“, schrie er dabei, „BEN! HEY!“
Doch der Dunkelhaarige reagierte nicht mehr.
Alex’ Atmung wurde stockender. Erschrocken starrte er den leblosen Körper an. Dann hob er seine Hand und legte sie hektisch an Bens Halsbeuge, versuchte auf diese Weise nach einem Lebenszeichen zu suchen. Erst spürte er nichts, doch dann fühlte er plötzlich ein langsames Pochen unter seinen Fingern.
Eine Spur von Erleichterung stieg in ihm auf. Ben schien lediglich bewusstlos zu sein. Dennoch bangte er um das Leben seines Freundes. Er wollte Ben nicht verlieren, wusste aber, dass die Chancen nicht gut standen.
Obwohl sich der Beweis für diese Tatsache unmittelbar vor seinen Augen befand, konnte Alex dem Gedanken keinen Glauben schenken. Er war weder wütend noch aufgebracht, war einfach nur sonderbar ruhig geworden. So ruhig, als ob man jegliche Gedanken und Emotionen aus ihm gefiltert hätte und er dadurch nur noch eine Hülle seiner Selbst darstellte. Er konnte nicht mehr denken, konnte nicht mehr handeln. Er war leer und nicht einmal diese Leere konnte er fühlen.
Am liebsten wäre er weggelaufen - so lange, bis er aus diesem miesen Traum erwachen würde. Doch sein Körper war zu keiner Bewegung fähig. Völlig neben sich stehend kauerte er neben Ben und hoffte, dass dieser wieder aufwachen würde. Der Dunkelhaarige sah nahezu friedlich aus, als ob er lediglich schlafen würde. Nur das viele Blut störte dieses Bild.
Er starrte auf dessen Körper und schien erst in jenem Moment zu begreifen, was genau geschehen war. Mit einem Mal erschien die Gegenwart übertrieben real. Plötzlich fühlte er sich nicht mehr wie in einem schlechten Traum. Nun kam es ihm eher so vor, als ob all das, was er mit Ben erlebt hatte, nur einem entfernten Traum entstammen würde. All die Erinnerungen wirkten so irreal und fremd.
Er beugte sich nach vorn und drückte seine Lippen auf die von Ben. Sie fühlten sich warm an.
Dann sackte er völlig in sich zusammen, umklammerte Bens Körper und begann zu weinen. Er wollte Ben nicht verlieren und erst recht nicht verantwortlich für dessen Tod sein.
Sämtliche Erinnerungen an die letzten Wochen begannen durch seinen Kopf zu jagen. Erinnerungen daran, wie er Ben das erste Mal begegnet war und wie sie sich das erste Mal geküsst hatten. Erinnerungen daran, wie Ben sich für ihn eingesetzt und ihm seine Liebe gestanden hatte. Erinnerungen an den gestrigen Tag und den Streit am frühen Morgen und zuletzt die Erinnerung an das erst eben Geschehene.
Alex fühlte sich schuldig und der Gedanke daran, seinen Fehler dieses Mal vielleicht nicht mehr gutmachen zu können, war unerträglich. Er fühlte sich wie in einem schwarzen Raum, in den kein Licht mehr drang, in dem man verloren ging und in dem man mit der Zeit sämtliche Erinnerungen an das bunte Leben verlor.
Fast minutiös überprüfte er Bens Puls - immer mit der Angst, das regelmäßige Pochen nicht mehr ausfindig machen zu können.
In jenem Moment fühlte er sich einsamer als je zuvor. Allein und lediglich durchtränkt mit all den Dingen, die er zu verantworten hatte.
Bei diesem Gedanken packte ihn eine neue Leere. Dieses Mal war sie anders. Mit tränenüberflutetem Gesicht löste er sich von Ben und starrte ihn an.
Doch dann hörte er plötzlich ein Ächzen hinter sich. Erschrocken wandte er sich um. Der Laut kam von Diego, der langsam wieder zur Besinnung kam. Alex warf einen Blick in dessen Richtung. Der Anblick des Italieners ließ nun doch wieder ein Gefühl in ihm erwachen. Es war das Gefühl von blankem Hass.
Diego stützte sich mit einem Arm ab, richtete sich etwas auf und fasste sich mit der freien Hand an seinen blutenden Hinterkopf. Alex funkelte ihn zornig an. Noch nie zuvor hatte er jemanden so sehr verachtet wie Diego. Noch nie zuvor hatte er sich jemanden so tot gewünscht. In ihm kochte immer mehr Wut auf, verbunden mit einem Gefühl von nicht mehr zu bändigem Wahn. Es war, als ob er plötzlich von einer fremden Macht gelenkt wurde, die ihn hastig zur Waffe krabbeln ließ. Hektisch griff er nach der Pistole, nahm sie an sich und
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