Wintermond
erkennen zu lassen. Obwohl er es besser wusste, hatte ein Teil von ihm gehofft, dass diese Geschichte anders ausgehen würde. Es musste also einen anderen Grund geben, warum Jannik und sein Wolf sich in der Gegenwart von Davids Geliebter verblüffend wohlgefühlt hatten.
David sparte sich eine Antwort und blickte wieder zum Fenster hinaus.
»Nun, es hat bestimmt auch sein Gutes, dass diese Affäre beendet ist. Eigentlich hat Tillmann dir sogar einen Gefallen getan, denn sonst wäre es Hagen gewesen, der plötzlich vor eurer Tür gestanden hätte. Und dann? Für die Frau ist es einfacher so. Auch wenn es der Schreck ihres Lebens gewesen sein mochte, immer noch besser, als einem vor Rachsucht fast besinnungslosen Rudelführer gegenüberzustehen, der sein Recht einfordert.«
David schnaufte leise, aber seine Muskeln spannten sich nicht einmal ansatzweise an, wie Nathanel beunruhigt bemerkte. Eigentlich wusste er nicht, was er erwartet hatte. Einen Krieger, der darauf brannte, in die Schlacht zu ziehen, nachdem ihm gerade erst sein Lebenstraum zerstört worden war? Einen verängstigen Welpen, der nach einem missglückten Ausflug in die Welt der Menschen darauf hoffte, wieder im Schoß des Rudels aufgenommen zu werden? Nathanel war zu alt und auch zu erfahren, um so naiv zu sein.Vor ihm saß ein liebeskranker junger Mann, der nicht die geringste Kraft aufbrachte, um sich gegen sein Schicksal zu stemmen.
Für einen kurzen Augenblick schloss Nathanel die Augen. Der Weg, den er beschreiten musste, lag grausam klar vor ihm. Die Aussicht, dass David am Ende mit seinem Rudel - einem richtigen Rudel - wieder vereint wäre, tröstete ihn wenig. Zu schwer wog das Risiko, dass dieser Junge als weiteres Opfer auf Hagens langer Liste endete. Allerdings gab es keine andere Möglichkeit, denn Nathanel lief die Zeit davon.Wenn er sein Rudel vor dem Untergang bewahren wollte, dann musste er handeln - und zwar jetzt. Für Gefühle oder Gewissensbisse blieb da kein Platz. Wer zögerte, würde im Kampf um die Spitze verlieren. Auch diese Erfahrung hatte er bereits auf schmerzliche Weise gemacht. Deshalb musste David noch weiter in die Ecke gedrängt werden, selbst wenn dabei etwas in ihm zerbrach.
»Findest du nicht, dass der Preis für deinen Verrat an Hagen zu hoch ausfällt?«, fragte Nathanel. Beinahe tastend wählte er die Worte, während er den Raum durchmaß.
David kümmerte sich nicht darum, dass der ältere Mann sich in eine bessere Position brachte. Offensichtlich befürchtete er keinen Angriff, oder schlimmer noch: Es war ihm gleichgültig.
Unter Nathanels Wangen gruben sich tiefe Schatten, während er mit einem leichten Schaudern bemerkte, wie die Macht des Wolfes sich um ihn legte. Sie verwandelte seinen verletzlichen, kranken Körper in eine Waffe, die kaum zu brechen war. »Ich kann ja noch verstehen, dass du bereit bist, Hagen für das erlebte Glück mit deinem eigenen Blut zu bezahlen. Aber dass du ihm kampflos diese Frau überlässt, für die du so weit gegangen bist, will mir nicht in den Kopf.«
Mit einem Mal kam Leben in Davids Augen. »Hagen hat es auf Meta abgesehen, obwohl ich mich von ihr getrennt habe?«
»Ja.«
Diese Antwort änderte alles. David stemmte sich mit der Absicht, davonzustürmen, auf die Beine. Doch mit einer solchen Reaktion hatte Nathanel gerechnet: Sein Schatten sprengte auf den jungen Mann zu, bevor dieser sein Gleichgewicht finden konnte, und riss ihn zu Boden. Mit einem Krachen schlugen Davids Schulterblätter auf die Dielen, und schon sickerte etwas Blut aus seiner Kehle. Aber als er die Hände zur Abwehr hochriss, war der Schemen bereits wieder zu seinem Herrn zurückgekehrt.
Angelockt von der heftigen Auseinandersetzung hatte Anton nun doch den Speicher betreten und sah Nathanel mit gerunzelter Stirn an. Die kleine Machtdemonstration hatte anscheinend Eindruck gemacht. Als sich David mühsam aufrichtete und eine Hand auf die blutende Kehle legte, machte es fast den Anschein, als wolle Maggies riesiger Gehilfe ihm die Hand reichen. Nathanel stieß jedoch ein drohendes Knurren aus, woraufhin der massige Bursche stehen blieb, die Arme herabhängend, die Miene ausdruckslos.
Plötzlich erklang aus einer der unteren Etagen dumpfes Krachen. Nathanel verdrehte sichtlich verärgert die Augen und wandte sich Anton zu. »Sei so gut und fang diesen ungeschickten Poltergeist ein, aber bitte sanft. Ihr könnt dann ja unten auf uns warten. Ich kann jetzt keine Unruhe vertragen«.
Kaum war
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