Wintermond
Hat er es wie Tillmann mit der Angst zu tun bekommen? Würde mich nicht überraschen, schließlich mag es David überhaupt nicht, wenn man ihn an die Kette legt. Er ist zu dominant, das macht ihn ja so wertvoll in meinen Augen. Soll ich dir meinen Plan verraten? Ich ziehe einen starken Wolf, den man kontrollieren kann, einem übermächtigen Rudelführer vor, zu dem Hagen zweifelsohne aufsteigen würde, wenn er David tötet. Wie du siehst, bist du mein Schlüssel, um sowohl David als auch Hagen mir zu Willen zu machen. Es ist in der Tat an der Zeit für einen Führungswechsel in unserem Rudel.«
Meta leckte sich über die Lippen. Wenn Amelia besser als sie selbst begriff, wozu sie in der Lage war, wie standen dann ihre Chancen, sich gegen diese Frau zu wehren? Nicht besonders gut, wenn man Amelias selbstgefällige Haltung bedachte. »Was willst du von mir?«, fragte sie deshalb geradeheraus.
Einen Augenblick erstarrte Amelia, als horche sie auf eine innere Stimme. Dann legte sie den Kopf schief, eine Geste, die Meta an einen Hund erinnerte, der einem für das menschliche Gehör viel zu hohen Pfiff lauschte.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit, David ist bereits in Hagens Nähe«, bestätigte Amelia ihre Vermutung. »Dein Freund will die Herausforderung anscheinend annehmen. Wer hätte das gedacht? Nathanels Tod hat ihm wohl den Kopf verdreht.« Nachdenklich begann Amelia, wieder an ihrer vollen Unterlippe zu kauen, und zum ersten Mal glaubte Meta eine Spur von Unsicherheit zu entdecken. Es sah ganz danach aus, als ob sie nicht mehr vollends der Überzeugung war, dass Hagen diesen Kampf ohne viel Federlesens gewinnen könnte.
Während Meta plötzlich Hoffnung verspürte, fuhr Amelia fort, als habe es ihr Zögern gar nicht gegeben. »Ich will, dass du Davids Wolf zu dir rufst, wenn Hagen den Kampf eröffnet - deshalb bin ich hierher zurückgekehrt, anstatt mir das Spektakel anzusehen. Du kannst mir eins glauben, Schätzchen:Wenn David ohne seinen Wolf kämpft, wird Hagen ihm nichts antun. Und das ist es doch, was wir beide wollen, richtig?« Obwohl Amelias Stimme einem liebevollen Säuseln glich, entging Meta keinesfalls die mitschwingende Drohung - das war keine Frage gewesen, sondern eine Feststellung.
»Ich habe eine bessere Idee«, hielt Meta dagegen. »Lassen wir die beiden Männer ihren Kampf austragen, und du lässt mich zu dieser Tür hinausspazieren, weil ich ansonsten deinen Wolf rufe.«
Hatte Amelia sich eben noch angriffslustig vorgebeugt, so verharrte sie nun. Dann begann sie zu lachen. Ein leises, vergnügtes Lachen, als habe sie kaum noch mit dieser Wendung gerechnet. Sie holte ein Butterflymesser hervor und ließ es gekonnt aufschnappen. »Mein Wolf bleibt schön da, wo er ist: tief in seiner Höhle. Mit dir werde ich auch so fertig, denn ich glaube kaum, dass ein Prinzesschen wie du jemals gelernt hat, sich zur Wehr zu setzen. Und für Narben wirst du wohl kaum etwas übrighaben, oder?«
Während Meta noch die aufblitzende schmale Klinge anstarrte, sprang Amelia auf sie zu und hielt ihr das Messer an die Kehle. Instinktiv versuchte Meta, die Hand mit der Klinge wegzustoßen, aber Amelia entwand sich ihrem Griff und ließ den Stahl kurz über die ungeschützte Haut gleiten. Ein brennender Schmerz durchfuhr Metas Kehle. Sie schwankte leicht, trotzdem konzentrierte sie sich auf Amelias Gesicht, in der Hoffnung, den Schatten auftauchen zu sehen, damit sie ihn zu sich einladen konnte. Doch diese Chance gewährte ihr Amelia nicht. Stattdessen drängte sie Meta in eine Ecke.
»Davids Wolf«, zischte sie. »Ruf ihn.«
Erneut hatte Amelia sich so dicht vor Meta aufgebaut, dass der süßliche Duft ihres Parfüms ihr den Atem raubte. Der Geruch nach Leichen, dachte Meta, während die Messerspitze sich in die weiche Mulde ihres Halses bohrte.
»Ich werde dich ganz langsam aufschlitzen, wenn du nicht tust, was ich dir sage«, drohte Amelia und unterstrich ihre Entschlossenheit, indem sie die Klingenspitze tiefer ins Fleisch drehte. Dabei entstand ein schabendes Geräusch, bei dem Metas Knie nachzugeben drohten. Trotzdem weigerte sie sich, auch nur an einen Hilferuf zu denken. Diese Frau würde sie niemals dazu bringen,Verrat an David zu begehen.
Begreifen breitete sich in Amelias Augen aus, als sie einen Schritt zurücktrat, das blutige Messer anklagend auf Metas Brust gerichtet. »Das wird dir noch leidtun«, sagte sie leise.
Plötzlich erklang ein drohendes Knurren. Amelia wirbelte herum und stieß einen
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