Wintermond
Stück der Boden unter den Füßen weggebrochen. Nun hatte er nicht einmal mehr seinen Schatten an der Seite. Während David langsam in den Pool hinabglitt, versuchte er, nicht darüber nachzudenken, vor welcher Wahl er gleich stehen würde: Meta oder Rudel - Mensch oder Dämon? Das Wohlergehen von beiden war im Augenblick Hagens Willkür unterworfen, und David sah keinen Weg, diese Machthoheit zu brechen. Er konnte nur auf Hagens widerliches Verlangen, ihn zu unterwerfen, vertrauen. Etwas anderes, worauf er bauen konnte, hatte er nicht.
Als er neben dem Steg im Pool zum Stehen kam und sich den Regen aus den Augen wischte, dachte er darüber nach, wieder hinaufzuklettern und einen Blick durch die Glaskuppel zu riskieren.Aber er verwarf die Idee. Ganz gleich, was ihn dort erwartete, er musste ja doch hineingehen. Außerdem durfte er nicht mehr Zeit verschwenden. Mit jedem Augenblick stieg die Wahrscheinlichkeit, dass Hagen Meta für seine Ungeduld büßen ließ.
Die beiden Durchlässe, die es den Delfinen früher ermöglicht hatten, für ihren Auftritt von innen ins Becken zu schwimmen, waren nun mit stählernen Gattern verrammelt. Eines jedoch hatte sich verkeilt und bot einen Spalt über dem Boden, der groß genug war, um hindurchzurobben. Während David vor der dunklen Öffnung stand, war das einzige Geräusch, das er hörte, sein eigener rasch gehender Atem. Im Inneren der Kuppel herrschte Schweigen. Der Wind streifte seine trotz der Kälte verschwitzte Haut.
Gerade als David in die Knie sinken wollte, nahm er eine Bewegung hinter sich wahr. Er wirbelte herum, doch es war nur Burek, der überrascht einen Satz zurücktat. Offensichtlich hatte der Hund eine Lücke gefunden und war ihm gefolgt. Obwohl ihm der Schrecken bis in die Kehle pochte, breitete sich ein Lächeln auf Davids Gesicht aus, dann machte er sich daran, sich, auf dem Bauch liegend, durch den Spalt zu zwängen.
Mit gesenktem Blick richtete David sich auf. Er wusste auch so nur allzu gut, dass ihn in diesem Moment etliche Augenpaare beobachteten. Selbst ohne seinen Wolf spürte er die Energie, die bei einer Zusammenkunft des Rudels freigesetzt wurde. Sämtliche Härchen an seinen Unterarmen stellten sich mit einem Prickeln auf, als würde die klamme, von Brandgestank verseuchte Luft einen Stromfluss leiten. David nahm sich noch ein paar Herzschläge lang die Zeit, sich zu sammeln, dann sah er auf.
Verstreut über die Ränge der Arena, saßen die beiden Rudel im diesigen Licht, das durch die verrußte Kuppel fiel. Ihre Körper warfen grotesk flimmernde Schatten, auf ihren Gesichtern tanzte der rötliche Schimmer von drei Feuerschalen, die am Rand des Pools aufgestellt waren. Eine beeindruckende Beleuchtung in Sommernächten, aber gewiss nicht dafür geeignet, einen solchen Raum zu erhellen, wie die dicke Rußschicht auf der Innenseite der Kuppel bewies.
Die obersten Ränge verschwanden fast in der Dunkelheit, so dass David sich anstrengen musste, etwas zu erkennen. Anscheinend saßen dort Maggies Leute neben jenen, die in Hagens Rudel in der Rangordnung unten standen.Auf den besten Plätzen dicht am Rand des Beckens tummelten sich Hagens Favoriten und stierten ihn feixend an. Ganz vorn erhob sich gerade Leug, das Gesicht undurchdringlich wie eh und je. Plötzlich leckte er sich über die Lippen, als wäre David nicht mehr als eine in die Falle gegangene Beute, an der er sich schon bald sattfressen würde. Dennoch wagte auch er es nicht vorzupreschen - alle saßen sie regungslos da und starrten David an, während er in die Mitte des Pools ging. Burek blieb tapfer an seiner Seite, ließ aber vor lauter Furcht den Kopf hängen.
»Ein gelungener Auftritt.«
Hagens dröhnende Stimme erklang schräg hinter David. Langsam drehte er sich um und sah hinauf zum Steg, an dessen Spitze Hagen stand. Das schwarze Haar fiel dem Rudelführer offen und strähnig auf die Schultern, als wäre er in den letzten Stunden zu oft mit der Hand hindurchgefahren. Seine Wangen leuchteten rot von der Anstrengung, die es ihn kostete, nicht sofort anzugreifen. Der Schein des Feuers verstärkte den Eindruck, als stünde Hagen in Flammen. Die Gier nach Gewalt und Tod, die in den blauen Augen tanzte, zeigte sich zum ersten Mal unverhüllt. Entweder glaubte Hagen, es nicht mehr nötig zu haben, seine wahre Natur zu verbergen, oder er stand kurz davor, seinen Verstand zu verlieren.Vielleicht fehlte ihm aber auch nur Amelia an seiner Seite. Sie allein verstand es auf
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