Wintermord
Geheimnisse zu enthüllen. Die dritte Alternative sah so aus, dass sie die Karten einfach auf den Tisch legten: Das wissen wir und so denken wir darüber.
Hatten sie jemals Zweifel gehabt, dass Molin eine Leiche im Keller hatte, waren diese jetzt wie weggeblasen.
»Warum sind Sie so aufgeregt?«
Karin Beckman sah Molin forschend an. »Sie haben Ihr Auto hinters Haus gestellt.«
»Na und?« Molin klang trotzig, aber der passende Gesichtsausdruck dazu wollte ihm nicht recht gelingen.
»Ich dachte, so was macht man vielleicht, damit die Leute glauben, man ist nicht zu Hause. Mehr nicht.«
Aus dem Obergeschoss hörte man ein dumpfes Geräusch, gefolgt von einem schwachen Knarren.
»Bleib oben, Dagny!«, rief Bertil Molin.
Als Antwort kam unbestimmtes Murmeln.
»Sie muss an ihr Herz denken«, erklärte Molin. Auf einmal war sein Tonfall vertraulich, wie so oft bei älteren Leuten, wenn sie über ihre Krankheiten sprechen. »Sie darf sich nicht aufregen.« »Dann sollte ich meine Frage vielleicht umformulieren«, schlug Karin Beckman vor. »Gibt es irgendeinen Grund, sich aufzuregen?«
Molin seufzte und schüttelte lange den Kopf.
Er entschuldigte sich und ging in den Flur. Sie hörten, wie er die Treppenstufen hinaufsprang – eine beachtliche Leistung für einen Rentner wie ihn. Dann war es still.
»Pscht!«, machte Tell ungehalten, als Karin Beckman den Wasserhahn aufdrehte, um einen Schluck zu trinken.
»Ja, schon gut. Es ist einfach so schrecklich warm hier drinnen«, zischte sie und öffnete das Fenster. »Holst du sie runter?«, fragte sie, nachdem sie ein Weilchen gewartet hatten. »Oder pfeifen wir einfach auf die beiden? Wir können doch auch gleich zu Sven Molin rausfahren.«
»Wir warten noch. Es dauert nicht mehr lange, du merkst doch, wie hibbelig er ist. Ich will mich nur noch vergewissern, dass er aus dem Grund hibbelig ist, den wir vermuten.«
Im Obergeschoss wurde eine Tür geschlossen. Wenige Sekunden später kam Bertil Molin mit schweren Schritten die Treppe herunter. Er winkte den beiden mit einer vagen Geste, schlüpfte in ein Paar ausgetretene Filzpantoffeln und führte sie nach draußen. An der Hausecke blieb er stehen und wühlte in seiner Brusttasche nach einer Streichholzschachtel und einer kleinen Pfeife, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden.
Nach ein paar tiefen Zügen schien Bertil Molin seine Kräfte zurückzugewinnen und wandte sich an Tell. Er war in einem Alter, in dem man eine Polizistin geflissentlich übersah, wenn ein männlicher Polizist in der Nähe war. Karin Beckman kannte den Typ. Am Anfang ihrer Karriere, als ihr zudem noch ihre Jugend im Weg stand, konnte sie sich schrecklich darüber aufregen. Mittlerweile überließ sie die Gespräche mit diesen nörgeligen alten Knackern mit Freuden ihren männlichen Kollegen.
»Erzählen Sie, was glauben Sie?«, fragte Molin direkt.
Tell nickte freundlich. »Wir glauben zu wissen, dass Ihr Sohn Sven vor zwölf Jahren bei einem Überfall auf ein Mädchen in der Nähe von Borås dabei war und dafür nie bestraft wurde. Wir glauben, dass die anderen beiden jungen Männer, die das Mädchen niederschlugen, Olof Pilgren und Thomas Edell hießen.«
Bertil Molin machte den Mund auf. Ein zittriger Seufzer zerstörte endgültig die Gemütsruhe, die er ihnen bis jetzt vorgespielt hatte.
Als Tell einen Schritt auf ihn zu trat, bemerkte er den vergilbten Rand an seinem Hemdkragen. »Hören Sie zu. Eigentlich brauchen wir überhaupt nichts von Ihnen. Während wir hier stehen, nehmen unsere Kollegen im Präsidium Ihren Sohn unter die Lupe – in welchen Kindergarten er gegangen ist, wie viele unbezahlte Strafzettel bei ihm zu Hause rumliegen, alles.«
Er zog sein Handy aus der Tasche und hielt es Molin vor die Nase. »Sobald ich diese Nummer wähle, erfahre ich, ob das neunzehnjährige Mädchen damals an den Folgen der Verletzungen gestorben ist, die sie an diesem Abend erlitt. Ob sie vergewaltigt wurde und ob es Verdächtige gab.«
Molin weigerte sich immer noch, ihm in die Augen zu sehen. Stattdessen richtete er seinen Blick auf das Mansardenfenster, die moosbewachsenen Dachziegel oder die Wolkendecke, die aussah, als wäre sie vom spitzen Dachfirst aufgerissen worden.
»Meine Kollegin und ich sind nur hier«, fuhr Tell fort, »weil Svens Leben in Gefahr sein könnte, und irgendetwas sagt mir, dass Sie zu einem ähnlichen Schluss gekommen sind. Also, entweder helfen Sie uns, ihn so schnell wie möglich zu erreichen, oder
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