Wintermord
Björkmans kleinem Büro.
Der hievte sich mit Mühe hoch und gab ihm die Hand. »Verdammte Hacke, ich bin völlig fertig«, sagte er statt einer Begrüßung. »Kaffee?«
»Ja, am besten gleich eine ganze Kanne.«
Björkman steuerte auf den Kaffeeautomaten zu. Inzwischen sah Tell sich ein wenig um. Björkman war immer noch sehr ordentlich. Im Regal standen die roten Ordner getrennt von den schwarzen, und nicht das kleinste Papierschnipselchen verunstaltete den penibel aufgeräumten Schreibtisch.
Tell musste an seinen eigenen Tisch denken, doch er übte nicht allzu viel Selbstkritik. Freudianer hätten an dieser Stelle sicherlich auf Tells Vater verwiesen, der stolz darauf war, durch umständliche Rituale eine absurde Form von Ordnung in seinen Alltag zu bringen. Erst als Erwachsener hatte Tell begriffen, dass sein Vater ein Zwangsneurotiker war – eine Erkenntnis, die es ihm ein wenig leichter machte, seine Eigenart zu akzeptieren.
Es war nicht immer einfach gewesen. Als Teenager machten ihn diese sinnlosen Rituale wahnsinnig: Jedes Ding musste an seinem Platz liegen, jeweils in Plastiktüten verpackt und mit Gummiband gesichert.
Es fiel Tell schwer einzusehen, dass seines Vaters Rituale ihm dabei halfen, seine Ängste zu kontrollieren.
Im Altersheim war er dem Personal ausgeliefert, das seine eigenen Rituale hatte. Immerhin sah es so aus, als ginge es ihm ganz gut, vielleicht gefiel es ihm sogar, dass man ihm die Entscheidungen jetzt weitgehend abnahm.
Björkman kam mit einer vollen Thermoskanne und zwei Bechern zurück. Tell erkannte das Ausmaß seiner Abhängigkeit, als ihm der Geruch des starken Kaffees in die Nase stieg. Er war ein Koffeinjunkie, und heute Morgen hatte er erst eine Tasse trinken können. Und zwar im Stehen in der Küche, als noch die Abdrücke von den Knöpfen an Sejas Nachthemd auf seiner Wange zu sehen waren.
Sie war geblieben. Der Gedanke daran weckte ein Glücksgefühl in ihm, doch es beunruhigte ihn auch, dass er sich am Silvestermorgen gleich wieder in die Arbeit stürzte. So ging es eben in seinem Job. Manchmal zumindest.
»Soll ich mit dir rausfahren?«, fragte Björkman.
»Ist es denn weit?«, wollte Tell wissen, obwohl beiden klar war, dass das keine Rolle spielte.
»Nein. Dreißig, vierzig Kilometer vielleicht.«
Er beugte sich vor und schnupperte mit angewiderter Miene Tells Atem. »Bist du auch wirklich in der Lage, Auto zu fahren?«
»Nein, aber du ja auch nicht. Wollen wir einfach unterwegs weiterreden?«
Sie fuhren durch die Straßen, während Ladenbesitzer ihre Reklametafeln aufstellten, die günstige Feuerwerkskörper anpriesen, und die Stadt sich bereit machte, das neue Jahr zu begrüßen.
»Hey, du Blödmann!«
Björkman trat auf die Bremse und hupte den Lkw an, der ihm die Vorfahrt genommen hatte. Als sie wieder anfuhren, fragte er: »Und wie feierst du Silvester, Tell?«
Darüber hatte er überhaupt noch nicht nachgedacht. »Ich ... bin bei ein paar alten Freunden eingeladen.«
Das entsprach sogar der Wahrheit.
»Und du?«
»Ich geh zu Nachbarn. Wir wechseln uns ab, jedes Jahr macht ein anderer ein kleines Fest, das ist ganz praktisch. Nach Mitternacht kriegt man ja kaum noch ein Taxi.«
Er drehte das Radio leiser und warf Tell einen verstohlenen Blick zu. »Wer fängt an – du oder ich?«
Tell legte ihm die Hintergrundinformationen zum Mordfall Waltz dar, während Björkman über die immer schmaler werdenden Kieswege durch die Wälder um Viskafors fuhr. Nachdem sie eine Gegend mit Einfamilienhäusern hinter sich gelassen hatten, schlossen sich noch ein paar Ferienhäuschen an, und irgendwann sahen sie nur noch Fichtenwald. Die Bäume sahen aus, als hätte der Jahrhundertsturm »Gudrun« sie ziemlich mitgenommen.
An vielen Stellen lagen Bäume kreuz und quer herum wie riesige Mikadostäbe.
Tell war mittlerweile fertig, und Björkman summte nachdenklich vor sich hin. »Das meiste stimmt überein. Die Vorgehensweise: Erst wurden die Opfer erschossen – wir haben bis jetzt nur einen vorläufigen Bericht von unseren Kriminaltechnikern, aber höchstwahrscheinlich handelt es sich um denselben Waffentyp. Und dann wurden sie mehrmals überfahren, von einem relativ schweren Auto mit überdurchschnittlich breiten Reifen.«
»Und das Opfer?«
»Olof Bart. Ungefähr dasselbe Alter wie bei euch. Er wohnte allein. War ein bisschen kauzig und hielt sich abseits. Nicht mal seine nächsten Nachbarn konnten etwas über ihn sagen. Er hat in allen möglichen
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