Wintermord
Beziehungen gehören nicht zu meinen stärksten Seiten. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange, aber ...«
Den Hang zu Schuldgefühlen haben wir schon mal gemeinsam . Als er verstummte, hakte sie nicht weiter nach.
Sie ging vor ihm ins dunkle Haus und machte das Licht an, während er zusammenfasste, warum er am Silvesterabend gearbeitet hatte.
»In der Nähe von Kinna ist ein Mann auf die gleiche Art ermordet worden wie das Opfer in der Autowerkstatt. Wir haben den Verdacht, dass es sich um denselben Täter handelt.«
Sie brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen und erklärte, dass ihr das Warten überhaupt nichts ausgemacht habe, dann entschuldigte sie sich, um zum Plumpsklo zu laufen. Dort draußen versuchte sie, ruhig durchzuatmen. Eine kalte Hand hatte sich mit unbarmherzigem Griff um ihren Magen geschlossen, und sie konnte nur mühsam Luft holen.
Im Grunde verachtete sie Menschen, die immer bei anderen nach Fehltritten suchten, damit sie selbst nicht in die Ecke gedrängt werden konnten. Dennoch tat sie jetzt genau das, um ihre Angst niederzukämpfen.
Sie hatte den Verdacht, dass Tell unter seiner eigenen Unprofessionalität litt, weil er mit ihr ins Bett gegangen war. Doch anstatt Mitleid mit ihm zu haben, war sie froh, dass seine Beschämung es ihr leichter machte, die eigene Verlogenheit zu ertragen.
Einerseits wollte sie ihn ins Vertrauen ziehen, andererseits gab es einen Grund, warum sie ihm unmöglich von den Erinnerungen erzählen konnte, die sie heimsuchten. Hier kamen ihre eigenen Schuldgefühle ins Spiel. Nicht nur, dass sie Informationen zurückhielt, die für die Aufklärung eines Mordfalls von Bedeutung sein könnten. Nein, ihre Schuld ging viel tiefer.
29
2007
Die Aufgabe des Tages – die Befragung sämtlicher Nachbarn – gab einen Vorgeschmack auf die bezirksübergreifende Zusammenarbeit. Kriminalinspektorin Sofia Frisk, die Glitzerblondine von der Weihnachtsfeier, fuhr wie der Teufel. In den Kurven reichte es ihr, wenn zwei Räder Bodenhaftung hatten, und ihre Überholmanöver waren wahnwitzig. Auf den ersten Blick hätte man ihr das niemals zugetraut: Sie war blond und zierlich, und ihre blauen Augen sahen aus, als wäre sie einer Werbung für farbige Kontaktlinsen entstiegen. Jetzt saßen sie auf Anette Perssons Veranda. Sie ließen den Blick über die Inseln schweifen, die aussahen, als hätte ein Riese sie willkürlich in den See geworfen, der unter der Veranda in der Sonne glitzerte. Sofia setzte eine riesige Sonnenbrille auf, die ihr halbes Gesicht verdeckte und ihr das Aussehen eines Insekts verlieh.
Gonzales wieherte vor Lachen.
»Was denn?«
»Witzige Brille.«
Sie lächelte und streckte die Beine unter der Fleece-Decke aus. »Hm, schön. Nur an den Füßen ist mir ein bisschen kalt.«
Michael Gonzales fand es überhaupt nicht schön. Als er den Auftrag erhielt, den ganzen Tag mit Sofia Frisk von der Polizei Borås die Gegend abzufahren, hatte er sich extra fein gemacht und seine coole, aber viel zu dünne Lederjacke angezogen. Sein Hintern fror ihm in der Jeans fast auf dem Balkonstuhl fest. Von seinen Füßen in den pitschnassen Sneakers wollte er gar nicht erst reden.
Ihre Gastgeberin tauchte auf. Sie trug einen Daunenmantel und brachte ein Tablett mit drei Tassen und einem Teller mit einem Hefezopf. »Sie frieren auch bestimmt nicht?«
Das war zwar eine rhetorische Frage, aber Sofia Frisk schüttelte trotzdem enthusiastisch den Kopf. »Nein, nein. Ich hab gerade zu meinem Kollegen gesagt, was für eine tolle Aussicht Sie haben. Wenn man über diese kleinen Wege hier hochfährt, kann man es kaum glauben.«
Mann, die trug vielleicht dick auf.
»Ja, es ist wirklich hübsch.« Anette Persson lächelte. »Als wir vor knapp zehn Jahren in Rente gingen, wollten wir einfach nicht in Borås bleiben. Wir wollten auf dem Land wohnen, und dann hatten wir eben dieses Grundstück von meinem Vater. Die Lage ist großartig, obwohl wir im ersten Winter doch ein bisschen Angst hatten. Hier kann man ganz schön einschneien.«
»Sonst sind das hier hauptsächlich Ferienhäuser?«
Da sich sonst niemand bediente, nahm Gonzales den Hefezopf in Angriff.
»Ja, fast alle«, nickte Frau Persson. »Tranström wohnt auch das ganze Jahr über hier, da sind Sie gerade vorbeigefahren. Dieses rote Haus. Und wenn man weiterfährt, wohnt da noch so ein junges Paar, die sind vor Kurzem erst hergezogen – es sieht so aus, als wäre die Straße dort zu Ende, ist sie aber nicht. Die beiden
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