Winternacht
legte den Kopf schief und zog die Brauen zusammen. »Ich weiß noch immer nicht richtig, was es mit dem Indigo-Hof auf sich hat. Könnte mich jemand aufklären?«
Ich seufzte. »Lange Geschichte. Aber versuchen wir, es knapp zu halten: Geoffrey kennst du?«
Rex nickte, und ein Schatten verdüsterte sein Gesicht. »Ich bin ihm ein paarmal begegnet, bevor ich New Forest verlassen habe. Er ist gefährlich. War er nicht Kriegsherr, bevor er verwandelt wurde?«
»Ja, und tief in seinem Herzen ist er das immer noch. Vor über tausend Jahren setzte sich Geoffrey in den Kopf, Myst zu verwandeln – sie stammte vom Dunklen Hof. Sie waren Geliebte und hatten zusammen einen riskanten Plan ausgeheckt: Er würde sie in einen Vampir verwandeln, und dann würden sie gemeinsam das Land erobern. Der typische Größenwahn-Unfug mit nur einem Schönheitsfehler: Als er sie leer trank und ihr von seinem Blut gab, starb sie nicht.«
»Lasst mich raten – wegen ihres Feenanteils?«
Ich verdrehte die Augen. »O ja. Myst erholte sich unfassbar schnell und konnte von nun an nicht mehr nur ihre dunklen Kräfte nutzen, sondern besaß plötzlich auch noch Vampirfähigkeiten. Dazu kam, dass dieses neue Mischwesen sich paaren konnte. Als Myst erkannte, wie stark und mächtig sie war, wandte sie sich gegen Geoffrey und versuchte, ihn zu vernichten. Den Vampiren gelang es, die Vampirfeen in die Dunkelheit zurückzutreiben, doch der Indigo-Hof nutzte die folgenden Jahrhunderte, um Kraft zu sammeln und sich zu vermehren. Crawl, das Blutorakel der Vampire, prophezeite einen großen Krieg, bei dem Grieve und ich angeblich als Katalysatoren fungieren würden. Aber wie es aussieht, waren wir das tatsächlich.«
Ich hielt inne und sah Grieve an. Seine Augen hatten das Schwarz der Leere, und in ihnen schimmerten Sterne. Er räusperte sich. »In einem anderen Leben war Cicely Mysts Tochter – sie hieß Cherish. Ich war Shy, schon damals eine Cambyra-Fee, nur gehörte ich nicht zu den Wolfswandlern, sondern zu dem Volk der Ursiasidhe, die eine Bärengestalt annehmen können.«
Ich starrte ihn staunend an. »Das wusste ich ja gar nicht.«
»Wir sind nie dazu gekommen. Jedenfalls verliebten Cherish und Shy sich gegen alle Widerstände, verrieten ihre Familien und brannten gemeinsam durch.«
»Das dürfte das Fass zum Überlaufen gebracht haben.« Rex bedachte uns mit einem traurigen Lächeln.
Ich verengte die Augen, als die bruchstückhaften Erinnerungen mein Bewusstsein fluteten. »Sie jagten uns. In unserem Versuch zu entkommen tobten wir so entsetzlich, dass wir eine Schneise der Vernichtung durch unsere Gegner schlugen. Oder genauer: Ich tobte so entsetzlich. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich den größten Schaden angerichtet habe.«
Grieve nahm meine Hand. »Wir haben beide versucht, uns zu wehren.« Er hob sie an die Lippen. »Aber schließlich stellten sie uns. Ich hatte uns ein Hexengift besorgt, das uns umbringen, uns aber auch für die Ewigkeit miteinander verbinden würde. Wir starben in dem Wissen, dass wir uns im nächsten Leben wiederfinden würden. Und das haben wir.«
»Romeo und Julia«, flüsterte Peyton.
»Ja … nur bin ich diesmal halb Cambyra-Fee, und Grieve, der als Prinz am Sommerhof geboren wurde, gehört zum Indigo-Hof. Und wieder sind wir auf der Flucht.« Ich verstummte und wandte mich an meinen Geliebten. »Dieses Mal will ich den Kreislauf unterbrechen. Ich will mein Leben mit dir leben … und für dich.«
Meine Lippen zitterten, als Grieve mich in seine Arme zog. Mein Herz hämmerte wild wie das Echo meiner Liebe zu ihm. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter, er drückte die Lippen auf meinen Scheitel, und die Wärme seines Körpers weckte in mir den Wunsch zu weinen.
Nach einem Augenblick durchbrach Rex das Schweigen. »Weiß Geoffrey, dass du Mysts Tochter warst?«
»O ja. Und jetzt will er mich dazu benutzen, es ihr heimzuzahlen – er will mich verwandeln, wie er sie damals verwandelt hat.« Ich löste mich von Grieve, aber im gleichen Moment wehte Ulean an meine Seite. Ärger. Draußen braut sich Ärger zusammen. Schnell. Feinde. Wrath meint, sie flüstern von Rhiannon .
Ich war augenblicklich in Alarmbereitschaft. »Ulean hat mich gerade gewarnt, dass draußen jemand ist. Wrath hat auch etwas gehört. Rhia, du bleibst hier drin. Grieve und Luna, ihr schützt sie mit eurem Leben. Fragt nicht – keiner von euch.«
Ich zog meine Jacke über – Messer und Fächer steckten noch in den Taschen – und
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