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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Littlewood
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schleifen, bevor sie krachend ins Schloss fiel.
    Als Cass eintrat, fand sie sich von leuchtenden Farben umgeben wieder: inmitten von Rot-, Gelb- und Blautönen undSonnenstäubchen, die in dem hellen Licht tanzten. Sie blinzelte kurz, bevor sie mit laut auf dem Stein hallenden Schritten weiterging. Sie öffnete den Mund, um Ben zu rufen, aber dann entdeckte sie seinen blonden Schopf.
    Er saß in der ersten Reihe und sah zu dem Altarkruzifix auf, das Christus mit schmerzverzerrtem Gesicht und stark hervortretenden Rippen zeigte. Cass betrachtete den hingerissenen Gesichtsausdruck ihres Sohns. Bisher hatte sie versucht, ihn vor solchen Bildern zu bewahren; ihm sollte es besser ergehen als ihr, die als kleines Mädchen in einem weißen Kleid im Mittelgang nach vorn geführt worden war, während die väterlichen Ermahnungen ihr in den Ohren geklungen hatten.
    Bete darum, von der Sünde erlöst zu werden. Wende dich ab von dem Bösen. Seine Stimme wird dir ins Ohr flüstern, dich mit weltlichen Dingen locken wollen. Du darfst nicht auf sie hören.
    »Du bist geweiht worden«, sagte Ben. Er deutete nach vorn auf die Stelle, wo Cass gekniet und unter der Hand ihres Vaters den Kopf gesenkt hatte, bevor sie erstmals die trockene Hostie und den sauren Wein geschmeckt hatte. Dies ist Liebe.
    Es hatte nicht wie Liebe geschmeckt.
    Cass schüttelte den Kopf. »Ich bin konfirmiert worden.« Ihre Stimme war trocken und brüchig. »Ich wurde konfirmiert, Ben, nicht   …«
    Ihr Sohn sah sie nicht an, und sie sprach nicht weiter. Geweiht, hatte er gesagt, und sie hatte ihm widersprechen wollen, nur hatte er natürlich recht: Sie war geweiht worden. So jedenfalls hatte ihr Vater es ausgedrückt. Ich weihe dieses Kind dem Herrn.
    Das Gewicht der Hand ihres Vaters auf ihrem Kopf. Das Gewicht seiner Worte. Der saure Weingeschmack auf ihrer Zunge.
    Ich habe dich Gloria genannt. Du sollst den Namen des Herrn rühmen.
    Diesen Namen hatte sie längst hinter sich gelassen   – undtrotzdem war sie wieder hier in Darnshaw, vielleicht ebenso auf der Suche nach Erinnerungen an ihren Vater, wie Ben einen Vater gesucht hatte.
    »Woher weißt du das, Ben? Bist du geweiht worden?«
    Er bedeckte seine verletzte Handfläche mit den Fingern der anderen Hand, nahm sie weg und rieb sich über die Wange. Sein Blick blieb unverwandt auf das Fenster gerichtet. Farbige Streifen lagen auf seinem Gesicht: rot, gelb, blau.
    Cass trat an den Altar. Auf ihm lag kein Foliant, sondern nur der weiße Läufer, den sie von früher kannte. Er bedeckte die Mitte des Steins, ohne die Abflussrinne an seinem Rand zu verbergen.
    Lucy hatte von Kindern bei einer Opferung gesprochen   – nicht als Opfer, sondern als Handelnde mit dem Opfermesser in ihren kleinen Händen   …
    Sie drehte sich nach Ben um.
    Er war nicht mehr da. Cass blinzelte. Das farbige Licht fiel über den Platz, an dem er gesessen hatte. In den Schatten war eine Bewegung zu erkennen, die von einem Schlurfen begleitet wurde, und Cass konnte sehen, wie Ben sich an eine große Männergestalt drängte. Sie kannte diese Gestalt, hatte diese Hände auf ihrem Körper gespürt. Ben wurde nicht festgehalten; seine Arme umklammerten Remick mit verzweifelter Kraft. Und während Cass die beiden beobachtete, hob Remick eine Hand und ließ sie auf Bens Kopf ruhen.
    »Jetzt ist er daheim«, sagte Remick.
    »Ben, komm her.«
    Er machte keine Bewegung.
    »Glaubst du wirklich, dass er mit dir gehen will, Cass? Hier fühlt er sich wohl. Hier ist er glücklich.«
    »Ben.«
    Remick lächelte, trat einen halben Schritt zurück und drehte Bens Kopf so zur Seite, dass er sie ansah.
    Auf den Wangen ihres Sohns konnte sie zwei silberne Tränenspuren sehen.
    »Er braucht Stabilität, Cass. Sicherheit. Frieden.«
    »Er braucht mich.«
    »Wirklich, Cass? Glaubst du das?«
    »Ben, komm her!«, rief Cass diesmal so laut, dass ihre Worte von den Wänden widerhallten.
    »Du kannst ihn mitnehmen, Cass, aber du bekommst ihn nie zurück.«
    Sie streckte die Hand aus. Ben verließ Remicks Seite und griff danach.
    »Ben, zeig ihr, wer du bist«, sagte Remick. »Zeig ihr, wem du gehörst.«
    Ben starrte zu Boden und öffnete seine Hand. Der Schnitt quer über die Innenseite leuchtete blutrot.
    »Siehst du? Er gehört mir, Gloria. Wohin ihr geht, spielt keine Rolle. Ein Teil seines Ichs   – der wichtige Teil, wie du merken wirst   – bleibt für immer hier bei mir.«
    Remicks Lippen bewegten sich weiter, aber sie konnte ihn nicht mehr

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