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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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hochgerutscht, den Kopf hielt sie gesenkt. Sie nahm zwei Hände voll Schnee und rieb ihn sich ins Gesicht. Sie prustete gegen die Kälte, und als sie die Hände sinken ließ, hingen ihr Schmelzwasser und Schnee an Wimpern, Augenbrauen und Lippen. »Langsam glaube ich, ich weiß, worum es bei der ganzen verdammten Sache geht«, sagte sie. »Jemand hat Dad umgebracht, und alle wissen es, nur ich nicht.«
    »Komm, steh auf.«
    »Er hat versprochen, dass er mit vielen schönen Sachen für uns alle zurückkommt, aber er verspricht immer was.«
    »Baby, ich fühle ja mit dir, wirklich, aber du solltest zum Nachdenken nicht im Schnee hocken.« Megan seufzte, sah zu den nächstliegenden Fenstern hinüber, beugte sich vor und schob ihre Arme unter Rees Arme, hob sie auf die Füße und wischte ihr den Schnee von Rock und Beinen. »Na, komm schon, reiß dich zusammen.«
    »Er ist ein verdammter Lügner. Er verspricht einem alles Mögliche, nur um wegzukommen.«
    Die beiden gingen gemeinsam die verschneite Straße entlang.
    »Erzähl niemandem, dass ich dir das gesagt habe, okay? Aber so wie ich das sehe, musst du den Hügel hinauf und um eine Unterredung mit Thump Milton bitten.«
    »Thump Milton?«
    »Du wirst den Hügel hinauf und darauf hoffen müssen, dass er mit dir spricht – was er normalerweise nicht macht.«
    »Oh nein! Nein, nein. Der Mann, der macht mir mehr Angst als alle anderen.«
    »Nun, Angst zu haben ist auch vielleicht keine so üble Idee, wenn man in seiner Nähe ist. Er ist mein Großvater, ich bin schon mein ganzes Leben in seiner Nähe, aber ich achte noch immer darauf, ihn nur ja nicht zu reizen. Ich hab gesehen, was dann passieren kann. Pass bloß auf,dass du nicht sagst, dass ich dich geschickt habe, aber Thump Milton könnte vielleicht eine Antwort für dich haben. Das könnte er.«
    Megan hatte plötzlich feuchte Augen, Tränen drückten, aber vielleicht musste sie auch nur ganz fürchterlich niesen. Sie gingen die Hawkfall Road entlang, ihre Schritte versanken im Weiß, und Megan blickte erst wieder auf, als sie bei ihr zu Hause ankamen. Sie legte einen Arm um Rees Schulter und hob die andere Hand, um über ein Feld voller eingefallener Mauern den Hügel hinaufzuweisen, zu einem abweisenden Haus aus dunklen Steinen, das umgeben war von kahlen Bäumen. »So war das hier bei uns schon immer«, sagte Megan. »Schon immer und ewig, verdammte Scheiße. Man geht zu Thump. Geh also da rauf, klopf leise an und warte.«

WOLKEN SCHIENEN AN DEN WEIT entfernten Bergen zu zerbrechen, dunkle rollende Massen, die von Gipfeln zerrissen wurden und den blauen Himmel grimmig befleckten. Frostiges Nass fiel, nicht als Schneeflocken oder Regen, sondern in winzigen weißen Knäueln, die beim Aufprall zu Tropfen zerstoben und in plötzlichem Glanz auf dem Schnee gefroren. Der Wind, der sie brachte, rüttelte am Wald, ließ die Äste gegeneinanderschlagen, und dieser wild klopfende Lärm trug weit. Ab und zu gab ein zitternder Ast nach, brach vom Stamm und fiel mit einem letzten Knurren zu Boden.
    Ree überquerte das Feld der alten eingefallenen Mauern und stieg den Hügel hinauf zu Thump Miltons Haus, brauchte aber nicht zu klopfen. Als sie auf den Hof kam, wartete schon eine Frau auf sie. Sie stand in einer Schürze über ihrem bedruckten kurzärmligen Kleid in der Tür, rieb sich die Hände und beobachtete, wie Ree näher kam. Die Frau war über ihre besten Jahre hinaus, hatte aber rosige Wangen und wirkte robust, ihre weißen Haare waren hochgesteckt und mit Haarspray fixiert. Sie war untersetzt und grobknochig, ihr Fleisch wackelte, wenn sie sich bewegte. »Du hast dich im Haus geirrt, nehme ich an«, sagte sie. »Wer bist du?«
    Hühner lärmten in einem langen, niedrigen Stall aufder anderen Seite des Hofs. Drinnen brannte Licht, der Schnee zwischen dem Stall und der Hintertür des Hauses war flach getreten. Das Haus selbst war ohne irgendwelche frivolen hellen Steine errichtet worden, es war vollkommen dunkel und nüchtern. Ein kurzes Dach schützte die Frau in der Tür.
    »Ich bin eine Dolly.« Rees grüne Kapuze wurde langsam schwer von der Nässe und schmiegte sich an ihren Kopf, während der Wind ihr das Kleid um die roten Beine schlug und sie die Augen zusammenkneifen musste. »Mein Dad ist Jessup Dolly. Ich bin Ree.«
    »Welcher Jessup?«
    »Aus Rathlin Valley. Teardrops Bruder. Ich meine Haslams. Teardrop heißt eigentlich Haslam.«
    »Ich glaube, ich weiß, wer Teardrop ist. Dann ist Jessup der Kerl, der

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