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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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hatte er ihm seinen Plan in großen Umrissen erklärt. Jonathan hatte zehn besonders umstrittene Kriminalfälle herausgesucht. Er hatte den Vorschlag gemacht, daß Kev es übernehmen sollte, alles Material zusammenzustellen, das über diese Prozesse zu bekommen war: Gerichtsprotokolle, eidesstattliche Erklärungen, Aussagen unter Eid, Zeitungsberichte, Bilder, Klatschspalten – alles was er finden konnte. Jonathan wollte dann jede Akte sorgfältig prüfen und erst danach entscheiden, wie er das Kapitel abfassen wollte – indem er dem Urteil entweder zustimmte oder es mit einer ausführlichen Begründung ablehnte. Er wollte das Buch ›Zweifelhafte Urteile‹ nennen.
    Er hatte schon drei Kapitel abgeschlossen. Das erste behandelte den ›Sam Sheppard Prozeß‹. Seine Meinung: nicht schuldig. Zu viele Fragezeichen; zu viel Beweismaterial unterdrückt. Jonathan stimmte mit Dorothy Kilgallens Auffassung überein, daß Sam Sheppard von den Geschworenen wegen Ehebruchs schuldig gesprochen worden war, nicht aber wegen Mord.
    Das zweite Kapitel bildete ›Der Cappolino Prozeß‹. Nach seiner Meinung gehörten Marge Farger und ihr früherer Freund hinter Gitter.
    Das Kapitel, das er gerade abgeschlossen hatte, war ›Der Edgar Smith Prozeß‹. In Jonathans Augen war Edgar Smith zwar schuldig, verdiente jedoch freigelassen zu werden.
    Vierzehn Jahre bedeuteten heute soviel wie lebenslänglich, und er hatte sich rehabilitiert, sich in der Zelle im Todestrakt weitergebildet.
    Er setzte sich an seinen wuchtigen Schreibtisch und griff ins Aktenfach nach den Mappen mit den dicken Papphüllen, die einen Tag zuvor angekommen waren. Sie trugen die Aufschrift
    ›Der Fall Harmon‹.
    Auf dem obersten Pappdeckel hatte Kevin eine Notiz geheftet. Sie lautete:
    ›Jon, ich habe so ein Gefühl, als ob es dir Spaß machen wird, dich hier so richtig ins Zeug zu legen. Die Angeklagte war eine leichte Beute für den Staatsanwalt; sogar ihr Mann kippte im Zeugenstand um und klagte sie praktisch vor den Geschworenen an. Sollte man den verschwundenen Zeugen der Anklage jemals wieder aufspüren und sie erneut vor Gericht stellen, täte sie gut daran, sich eine bessere Geschichte einfallen zu lassen als beim letzten Mal. Das Büro des Bezirksstaatsanwalts da drüben weiß, wo sie steckt, aber sie wollten es mir nicht verraten; irgendwo im Osten, ist das einzige, was ich herausbekommen konnte.‹
    Jonathan öffnete die Akte. Sein Puls schlug ein wenig schneller, wie immer, wenn er sich einen spannenden neuen Fall vornahm.
    Im allgemeinen gestattete er sich keine allzu weitgehenden Spekulationen, ehe er nicht alle Untersuchungsergebnisse beisammen hatte. Doch seine eigenen Erinnerungen an diesen Fall und die Gerichtsverhandlung vor sechs oder sieben Jahren machten ihn neugierig. Er erinnerte sich, daß für ihn schon damals beim Lesen der Zeugenaussagen zahlreiche Fragen offengeblieben waren… Fragen, auf die er sich jetzt konzentrieren wollte.
    Er erinnerte sich noch, daß der Harmon-Prozeß in ihm den Gesamteindruck hinterlassen hatte, daß Nancy Harmon keineswegs alles gesagt hatte, was sie über das Verschwinden ihrer Kinder wußte.
    Er griff in die Mappe und begann, die Artikel, die alle mit äußerster Sorgfalt beschriftet waren, vor sich auf dem Tisch auszubreiten. Es waren auch Bilder von Nancy Harmon darunter, aufgenommen während des Prozesses. Mit ihrem schulterlangen Haar war sie wirklich ein hübsches junges Ding.
    Wie die Zeitungen berichteten, war sie zum Zeitpunkt des Verbrechens fünfundzwanzig Jahre alt. Sie sah sogar noch jünger aus - nicht viel älter als ein Teenager. Die Kleider, die sie damals trug, waren noch ganz jugendlich… fast kindlich…
    sie verstärkten diesen Gesamteindruck noch. Vielleicht hatte ihr Rechtsanwalt ihr nahegelegt, so jung wie möglich auszusehen.
    Es war komisch, aber seitdem er sich mit dem Gedanken trug, dieses Buch zu schreiben, hatte er immer das Gefühl, daß er dieser jungen Frau schon mal irgendwo begegnet war. Er starrte auf die Bilder, die da vor ihm lagen. Natürlich. Sie sah wie eine etwas jüngere Ausgabe von Ray Eldredges Frau aus.
    Jetzt war ihm klar, warum ihn ihr Anblick immer so beunruhigt hatte. Der Gesichtsausdruck war zwar völlig verschieden, aber wäre es nicht wirklich eine kleine Welt, wenn es da irgendwelche familiären Verbindungen gäbe?
    Sein Blick fiel auf das erste Blatt. Es war mit der Schreibmaschine getippt und gab einen kurzen Lebensabriß von Nancy Harmon. Sie

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