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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Schaukel gewesen, und dann war da auch der Fausthandschuh. Michael würde Missy nicht allein lassen. Er paßte immer so gut auf sie auf. Es war wie beim letzten Mal.
    Wie beim letzten Mal. Und man würde sie genauso finden, wie man Peter und Lisa gefunden hatte, mit feuchtem Seegras und Plastikfetzen im Gesicht und im Haar, und mit geschwollenen Leibern.
    Sie mußten am Hause angekommen sein. Dorothy öffnete die Tür und sagte: »Ich rufe die Polizei an, Ray.«
    Nancy spürte, wie sich die Dunkelheit auf sie senkte.
    Langsam tauchte sie in sie ein, tief, weit weg… Nein… nein…
    nein…
    8
    Ha, dieser Wirbel. Wie die Ameisen rannten sie herum – und wie sie um das Haus und im Garten herumliefen! Er fuhr sich aufgeregt mit der Zunge über die Lippen. Sie waren ganz trocken, obwohl alles andere an ihm feucht war – seine Hände und Füße, seine Leisten und Achselhöhlen. Der Schweiß lief ihm in Strömen den Hals und den Rücken hinunter.
    Nachdem er in das große Haus zurückgekehrt war, hatte er sofort die Kinder hereingetragen und sie gleich hinauf in das Zimmer mit dem Teleskop gebracht. Er konnte sie hier im Auge behalten und mit ihnen sprechen, wenn sie aufwachten, und sie befühlen.

    Vielleicht würde er das kleine Mädchen baden und sie mit einem hübschen weichen Handtuch abtrocknen und sie mit Kinderpuder einreiben und sie küssen. Er konnte noch den ganzen Tag mit den Kindern zusammen sein. Den ganzen Tag; die Flut heute abend würde nicht vor sieben Uhr einsetzen. Bis dahin würde es dunkel sein, und keiner wäre in der Nähe, der etwas sehen oder hören konnte. Es konnte Tage dauern, bis sie an Land gespült wurden. Es würde genauso sein wie beim letzten Mal.
    Er würde aber noch viel größere Lust haben, sie zu berühren und zu befühlen, wenn er wüßte, daß ihre Mutter inzwischen schon verhört wurde. »Was haben Sie mit Ihren Kindern gemacht?« würde man sie fragen.
    Er beobachtete, wie noch weitere Polizeifahrzeuge den Feldweg hinauf jagten und in den Hof hinter ihrem Haus einbogen. Aber einige fuhren an dem Haus vorbei. Warum fuhren so viele von ihnen zum Maushop See? Natürlich, die glaubten, sie hätte die Kinder dorthin geschleppt.
    Er empfand eine wundervolle Befriedigung. Alles, was da passierte, konnte er ohne Risiko beobachten, völlig sicher und bequem. Er hätte gern gewußt, ob Nancy gerade weinte. Bei ihrem Prozeß hatte sie kein einziges Mal geweint, bis ganz zum Schluß – nachdem der Richter sie zur Gaskammer verurteilt hatte. Sie hatte zu schluchzen begonnen und das Gesicht in ihren Händen vergraben, um den Ton zu ersticken. Die Gerichtsdiener hatten Handschellen um ihre Handgelenke schnappen lassen. Ihr langes Haar war nach vorn gefallen und hatte das tränenüberströmte Gesicht bedeckt, das so verzweifelt in die feindseligen Gesichter blickte.
    Er dachte daran zurück, wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war quer über das Hochschulgelände gegangen. Er hatte sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt – wie der Wind ihr das rotblonde Haar um die Schultern wehte; mit ihren zarten Gesichtszügen, den kleinen, ebenmäßigen, weißen Zähnen; ihren bezaubernden runden blauen Augen, die so ernst unter den dichten schwarzen Augenbrauen und Wimpern hervorguckten.
    Er hörte ein Schluchzen. Nancy? Ach, natürlich nicht. Es kam von dem Mädchen. Nancys Kind. Er trat vom Teleskop zurück und stierte unwillig hinüber. Aber sein Gesichtsausdruck ging in ein Schmunzeln über, als er sie genauer betrachtete. Die feuchten Löckchen auf der Stirn, das kleine gerade Näschen, die helle Haut… sie sah Nancy sehr ähnlich.
    Sie wimmerte leise, als sie langsam aufwachte. Nun ja, es war auch Zeit, daß die Wirkung der Droge nachließ; sie waren fast eine Stunde lang bewußtlos gewesen.
    Nur ungern verließ er das Teleskop. Er hatte die Kinder an den entgegengesetzten Enden der modrig riechenden Velourscouch niedergelegt. Das kleine Mädchen weinte jetzt ernstlich. »Mami… Mami.« Seine Augen waren fest zusammengekniffen. Der Mund stand offen… Wie rosig ihre kleine Zunge war! Die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
    Er richtete sie auf und öffnete den Reißverschluß ihrer Jacke.
    Sie schrak vor ihm zurück. »Na, na, sei ruhig«, sagte er beschwichtigend. »Ist schon gut.«
    Der Junge bewegte sich und wachte ebenfalls auf. Seine Augen blickten ihn erschrocken an. Genauso wie im Garten, als er ihn plötzlich hinter sich gesehen hatte. Jetzt richtete er sich langsam auf.

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