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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Übertragungswagens säumten Privatfahrzeuge die Straße.
    Viele trugen Sonderausweise der Presse.
    Die Zufahrt zum halbkreisförmigen Fahrweg war von einem der Polizeiwagen versperrt. Lendon hielt an und wartete, daß einer der Polizisten herüberkäme. Als sich schließlich einer näherte, war dessen Ton ziemlich barsch: »Was wünschen Sie hier?«
    Lendon hatte diese Frage vorausgesehen und war gerüstet.
    Er reichte ihm eine Visitenkarte hinaus, auf die er eine Mitteilung gekritzelt hatte: ›Bitte übergeben Sie das Mrs.
    Eldredge.‹
    Der Polizist wurde unsicher: »Wenn Sie hier warten wollen, Doktor… Ich muß das überprüfen.« Er kehrte sofort zurück, eine Spur weniger feindselig. »Ich fahre den Streifenwagen zur Seite. Parken Sie auf dem Fahrweg und gehen Sie ins Haus, Sir.«
    Von der anderen Straßenseite hatten die Reporter diese Nebenhandlung verfolgt. Jetzt kamen sie herübergeeilt, als Lendon aus dem Wagen stieg, hielt ihm einer von ihnen ein Mikrofon vors Gesicht.
    »Dr. Miles, dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er schnell fort: »Sir, Sie sind ein berühmter Psychiater und Professor an der Medizinischen Fakultät der Harvard Universität. Hat die Familie Eldredge Sie kommen lassen?«
    »Niemand hat mich kommen lassen«, erwiderte Lendon in scharfem Ton. »Ich bin ein Freund – war ein Freund – von Mrs. Eldredges Mutter. Ich bin aus persönlicher Freundschaft hierher gekommen, und nur deshalb.«
    Er versuchte vorbeizukommen, aber der Reporter mit dem Mikrofon versperrte ihm den Weg. »Sie sagen, daß Sie ein Freund von Mrs. Eldredges Mutter waren. Würden Sie uns bitte folgende Frage beantworten: War Nancy Harmon Eldredge jemals bei Ihnen in Behandlung?«
    »Absolut nicht!« Lendon schob und drängte sich buchstäblich durch die Reporter zur Veranda. Die Haustür wurde von einem anderen Polizisten offengehalten. »Dort hinein«, sagte er und deutete auf das Zimmer zur Rechten.
    Nancy Eldredge stand am Kamin neben einem hochgewachsenen jungen Mann, bestimmt Ray Eldredge. Lendon hätte sie überall erkannt. Die fein geformte Nase, die großen mitternachtsblauen Augen, die offen und gerade unter den dichten Wimpern hervorblickten, der tiefe keilförmige Haaransatz, das Profil, das Priscillas so ähnlich war…
    Ohne den offen feindseligen Blick des Polizeicaptains und die prüfenden Blicke des Mannes mit dem kantigen Gesicht am Fenster zu beachten, ging er direkt auf Nancy zu. »Ich hätte früher kommen sollen«, sagte er.
    In den Augen der jungen Frau lag eine gewisse Starre, aber sie verstand, was er meinte. »Ich glaubte damals, daß Sie kommen würden«, erwiderte sie ihm, »als Mutter starb. Ich war so sicher, daß Sie kommen würden. Aber Sie kamen nicht.«
    Mit dem Blick des Fachmanns schätzte Lendon die Schocksymptome ab, die er wahrnehmen konnte: die vergrößerten Pupillen, die steife Körperhaltung, die leise, monotone Art zu sprechen. Er wandte sich Ray zu. »Wenn ich irgend kann, möchte ich helfen«, sagte er.
    Ray musterte ihn aufmerksam, und unwillkürlich war ihm das, was er sah, sympathisch. »Dann versuchen Sie als Arzt den Captain davon zu überzeugen, daß es eine Katastrophe wäre, Nancy zur Polizeistation zu bringen«, sagte er ohne Umschweife.
    Nancy blickte Lendon starr ins Gesicht. Sie fühlte sich so weit weg. Ihr war, als wenn sie sich von Minute zu Minute immer weiter entfernte. Aber dieser Dr. Miles hatte irgend etwas an sich. Mutter hatte ihn sehr gern gehabt; Mutters Briefe hatten so glücklich geklungen; sein Name war in ihnen immer häufiger aufgetaucht.
    Als ihre Mutter zu ihr herübergekommen war, um sie am College zu besuchen, hatte sie sich nach dem Doktor erkundigt; eine wie wichtige Rolle spielte er? Aber Carl war bei ihnen, und Mutter wollte da anscheinend nicht über ihn sprechen. Sie lächelte nur und sagte: »Oh, eine sehr wichtige Rolle, mein Schatz, aber ich werde dir später alles genau erklären.«
    Sie konnte sich ganz deutlich daran erinnern. Sie hatte gewünscht, Dr. Miles kennenzulernen. Irgendwie war sie fest überzeugt gewesen, er würde sie anrufen, wenn er von Mutters Unfall erfuhr. Sie hatte jemanden gebraucht, der Mutter ebenfalls liebte und mit dem sie hätte sprechen können…
    »Sie haben Mutter doch geliebt, nicht wahr?« Es war ihre Stimme, die diese Frage stellte. Sie war sich nicht einmal bewußt, daß sie die Absicht gehabt hatte, das zu fragen.
    »Ja. Sehr sogar. Ich wußte nicht,

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