Wintersturm
bis es die erwünschte Temperatur erreichte. Als die Wanne vollgelaufen war, prüfte er das Wasser noch einmal mit dem Ellenbogen. Etwas heißer als es sein sollte, aber es ging schon. In ein paar Minuten würde es sich abkühlen.
Er zog den Atem ein. Er vergeudete seine Zeit. Eilig öffnete er die Tür des Medizinschränkchens und nahm eine Dose mit Kinderpuder heraus, die er heute morgen in Wiggin’s Market unauffällig in seine Manteltasche gesteckt hatte. Er wollte schon die Tür schließen, als er die kleine Gummiente bemerkte, die er hinter die Rasiercreme gestopft hatte. Er hatte sie schon ganz vergessen… immerhin, sie war beim letzten Mal gebraucht worden… das paßte sehr gut. Er lachte leise und holte die Ente heraus; spülte sie unter kaltem Wasser ab, fühlte, daß sie nicht mehr elastisch und das Gummi rissig war; und stieß sie dann in die Wanne. Es war kein schlechter Gedanke, Kinder bisweilen ein wenig abzulenken.
Er riß den Puder an sich und rannte ins Schlafzimmer zurück. Rasch knöpfte er mit den Fingern Missys Jacke auf und zog sie ihr aus. Ohne Mühe streifte er ihr den Rollkragenpullover über den Kopf. Das Unterhemd zog er ihr dabei gleich mit aus. Er holte tief Luft – ein anhaltendes, ächzendes Stöhnen – und hob das kleine Mädchen empor und drückte ihren schlaffen Körper fest an sich. Drei Jahre alt. Ein zu schönes Alter. Sie bewegte sich und versuchte die Augen zu öffnen. »Mami, Mami…« Es war ein schwacher, schläfriger Ruf – so lieb, so köstlich.
Das Telefon läutete.
In seinem Ärger faßte er das Kind etwas heftiger an, und es begann zu wimmern – ein hoffnungsloses, benommenes Weinen.
Er würde das Telefon klingeln lassen. Nie, nie empfing er Telefonanrufe. Warum ausgerechnet jetzt? Seine Augen zogen sich zusammen. Es könnte ein Anruf aus der Stadt sein mit der Bitte, sich an der Suche zu beteiligen. Es wäre besser, sich zu melden. Es könnte vielleicht doch verdächtig sein, wenn er nicht ans Telefon ging. Er warf Missy aufs Bett zurück und machte die Schlafzimmertür fest zu, ehe er im Wohnzimmer den Hörer aufnahm. »Ja.« Seine Stimme sollte förmlich und kalt klingen.
»Mr. Parrish, ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört. Hier spricht Dorothy Prentiss vom Maklerbüro Eldredge. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nur so kurzfristig Bescheid geben kann, aber in zwanzig Minuten werde ich mit einem potentiellen Käufer für das Haus hinüberkommen. Werden Sie zu Hause sein, oder soll ich meinen Hauptschlüssel benutzen, um Ihr Apartment zu besichtigen?«
14
Lendon Miles bog von der Route 6 A nach rechts in den Paddock Pfad ein. Den ganzen Weg auf der Fahrt von Boston herüber hatte er sein Radio auf einen Nachrichtensender eingestellt: Der größte Teil der Nachrichten beschäftigte sich mit Nancy Eldredge und den verschollenen Kindern.
Den Meldungen zufolge war der Maushop See in Sektionen aufgeteilt worden, doch die Taucher brauchten mindestens drei Tage, um ihn gründlich abzusuchen. Der Maushop-See war unter Wasser voller Sandbänke. Captain Coffin von Port Adams wurde zitiert: Er erläuterte, daß es an einer Stelle möglich war, bis zur Hälfte in den See hinauszulaufen, ohne daß einem das Wasser höher als bis zur Hüfte ging, während ein paar Meter weiter, nur zwei Meter vom Ufer entfernt, das Wasser eine Tiefe von über zwölf Metern erreichte. An den Riffen unter Wasser blieben Gegenstände hängen und wurden dort festgehalten, so daß die Suche riskant und dem Zufall unterworfen war…
Die Meldungen verkündeten, daß sich Hubschrauber, kleine Wasserflugzeuge und Bodensuchtruppen an der Suche beteiligt hätten, daß aber eine Sturmwarnung für das Kap ausgegeben war und die Suche aus der Luft abgebrochen werden müsse.
Bei der Meldung, daß Nancy Eldredge zur Vernehmung ins Polizeipräsidium gebracht werden sollte, gab er unbewußt Gas.
Er empfand ein unbändiges Bedürfnis, so schnell wie möglich zu Nancy zu gelangen. Aber er merkte sehr bald, daß er langsamer fahren mußte. Der Graupel vereiste die Windschutzscheibe so schnell, daß der Entfroster Mühe hatte, das verkrustete Eis aufzuschmelzen.
Als er schließlich in den Paddock Pfad abbog, war es nicht mehr schwierig, das Eldredge-Haus zu finden. Der Mittelpunkt des Trubels war nicht zu verfehlen. Auf halbem Wege die Straße hinauf parkte vor einem Haus, an dessen Vorderseite zwei Polizeiwagen standen, ein Übertragungswagen vom Fernsehen quer zur Straße. In der Nähe des
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