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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Dorothy eine Stunde später wieder ins Haus gelassen wurde, fand sie das Eßzimmer und die Küche verlassen vor.
    Nur Bernie Mills war da, der Polizist, der die Aufgabe hatte, die Telefonanrufe entgegenzunehmen. »Sie sind alle da drüben drin«, sagte er und deutete mit dem Kopf zum großen Wohnzimmer hinüber. »Eine komische Sache, die sich da abspielt.«
    Dorothy eilte über den Korridor, blieb aber wie angewurzelt an der Zimmertür stehen. Die Begrüßungsworte erstarben ihr auf den Lippen, als sie die Szene vor sich sah.
    Nancy lag auf der Couch, ein Kissen unter dem Kopf und warm eingepackt in eine Steppdecke. Ein Fremder, der wie ein Arzt aussah, saß neben ihr und sprach beruhigend auf sie ein.
    Nancys Augen waren geschlossen. Ray, mit gequältem Gesicht, und Jonathan, grimmig entschlossen, saßen nebeneinander auf dem kleinen Sofa. Jed Coffin saß an einem Tisch hinter der Couch und hielt ein Mikrofon in der Hand, das auf Nancy gerichtet war.
    »Wie fühlen Sie sich, Nancy? Liegen Sie bequem?« Lendons Stimme war ruhig und gelassen.
    »Ich habe Angst…«
    »Warum?«

    »Die Kinder… die Kinder…«
    »Nancy. Wir wollen über den heutigen Morgen sprechen.
    Haben Sie heute nacht gut geschlafen? Als Sie erwachten, fühlten Sie sich da ausgeruht?«
    Nancys Stimme klang nachdenklich. »Ich habe geträumt. Ich habe viel geträumt…«
    »Wovon haben Sie geträumt?«
    »Peter und Lisa… Sie waren so groß geworden… Sie sind sieben Jahre tot…« Sie begann zu schluchzen. Dann, während Jonathan Ray mit eisernem Griff zurückhielt, schrie sie: »Wie hätte ich sie denn umbringen können? Es waren doch meine Kinder! Wie hätte ich sie denn umbringen können…«
    15
    Ehe Dorothy im Büro mit John Kragopoulos zusammentraf, hatte sie versucht, ihre roten Augenränder unter Gesichtspuder zu verbergen. Sie hatte sich einzureden versucht, daß es für sie nach allem, was geschehen war, eine Ablenkung sein würde, jemandem das Hunt-Haus zu zeigen. Es war eine Tätigkeit, auf die man sich eine Zeitlang konzentrieren mußte und die sie daran hindern würde, unentwegt nach Anhaltspunkten für den Verbleib der Kinder zu suchen. Was für Anhaltspunkten?
    Normalerweise fuhr sie mit potentiellen Käufern, ehe sie ihnen ein Anwesen zeigte, ein wenig in der Gegend herum, um ihnen die Strande und Seen und die Bootsplätze zu zeigen; die prachtvollen alten Häuser, die verstreut zwischen der Krannbeer-Chaussee und der Bucht lagen; den atemberaubenden Blick vom Maushop Turm; die Sehenswürdigkeiten der Altstadt.
    Aber heute, wo der Graupel einen scharfen Wind auf das Wagendach und die Fenster trommelte, wo der Himmel mit schwarzen Wolkenbänken bepackt war und die kalte Seeluft einem das Mark in den Knochen gefrieren ließ, steuerte sie direkt auf den ›Ausguck‹ zu.
    Es fiel ihr sehr schwer, sich auf das zu konzentrieren, was sie gerade tat. Sie fühlte sich so aufgewühlt und mitgenommen.
    Sie, die jahrelang nicht mehr geweint hatte, mußte sich auf die Lippen beißen, um die Tränen zurückzuhalten. Auf ihren Schultern lastete eine drückende Bürde, eine Bürde aus Schmerz und Furcht, die sie bestimmt nicht allein tragen konnte.
    Während sie den Wagen über die tückisch glatte Landschaft steuerte, warf sie gelegentlich einen verstohlenen Seitenblick auf den Mann mit der dunklen Gesichtsfarbe neben sich. John Kragopoulos war ein Mittvierziger. Er hatte die Figur eines Gewichthebers, doch in seiner Figur lag eine angeborene Vornehmheit, die durch seine ein wenig akzentuierte Sprechweise noch hervorgehoben wurde.
    Er erzählte Dorothy, daß er und seine Frau soeben ihr Restaurant in New York verkauft hätten und daß sie übereingekommen seien, sich beim nächsten Mal in einer Gegend niederzulassen, in der sie für immer bleiben wollten. Ihnen war sehr daran gelegen, daß es dort wohlhabende Leute für das Wintergeschäft gab, aber auch Möglichkeiten für das Kurgeschäft im Sommer.
    Dorothy ging die einzelnen Punkte in Gedanken durch und sagte: »Ich würde Ihnen auf keinen Fall empfehlen, ein Restaurant auf der anderen Seite des Kaps zu kaufen; das ist jetzt nur noch eine Ansammlung von Motels und Pizzastuben -
    eine wahrhaft fürchterliche Gegend – aber diese Seite des Kaps ist wirklich noch zauberhaft. ›Der Ausguck‹ hat nahezu unbegrenzte Möglichkeiten als Restaurant und als Gasthaus.
    Während der dreißiger Jahre wurde er von Grund auf renoviert und in einen Sport- und Gesellschaftsklub umgewandelt. Die

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