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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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zehrte an ihrem Selbstvertrauen, sich gelangweilt und ungezwungen zu geben. Gewiss wussten die Angestellten am Empfang über den Inhalt ihres Geldbeutels Bescheid. Sie bildete sich sogar ein, dass die Pagen hinter vorgehaltener Hand über die ausländischen Aufkleber lachten, die sie mit Wasserdampf von einem alten Überseekoffer ihres Vaters abgelöst und auf ihrem eigenen Koffer angebracht hatte. Dieser letzte Gedanke versetzte sie in Panik. Vielleicht waren die Hotels und Schiffe mit den großartigen Namen schon längst nicht mehr in Betrieb!
    Während sie mit den Fingern auf den Rezeptionstresen trommelte, überlegte sie, ob es ihr für den Fall, dass man ihr ein Zimmer verweigerte, gelingen würde, ein unbekümmertes Lächeln aufzusetzen und lässig genug hinauszuschlendern, um zwei in der Nähe stehende, teuer gekleidete Damen zu täuschen. Das Selbstvertrauen von zwanzig Jahren hatte sich ziemlich schnell in Luft aufgelöst. Drei Monate ohne Sicherheit hatten Yancis Seele einen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt.
    »Vierundzwanzig zweiundsechzig«, sagte der Mann am Empfang kühl.
    Ihr Herz beruhigte sich wieder, als sie dem Pagen zum Fahrstuhl folgte und im Vorbeigehen einen nonchalanten Blick auf die beiden modisch gekleideten Damen warf. Waren ihre Röcke lang oder kurz? Länger, wie sie sah.
    Sie überlegte, wie viel Saum man wohl aus ihrem neuen Stadtkostüm herauslassen konnte.
    Beim Mittagessen schnellte ihre Stimmung in die Höhe. Der Oberkellner verneigte sich vor ihr. Das leise Gemurmel der Gespräche, das gedämpfte Summen der Musik trösteten sie. Sie bestellte Melonenfilets, Eggs Suzette und eine Artischocke, und als die Rechnung neben ihrem Teller lag, würdigte sie sie kaum eines Blickes, sondern schrieb nur ihre Zimmernummer darauf. Oben in ihrem Zimmer versuchte sie, das Telefonbuch aufgeschlagen vor sich auf dem Bett, ihre verstreuten weltstädtischen Bekannten ausfindig zu machen. Doch schon beim Anblick der Telefonnummern mit ihren hochnäsigen Etiketten, Plaza, Circle und Rhinelander, spürte sie, wie ihrem labilen Selbstvertrauen ein kalter Wind entgegenblies. Diese Mädchen, die sie aus der Schule kannte, von einem Sommer, einer privaten Party oder auch nur einem Prom-Wochenende her – welchen Anspruch sollte sie, mittellos und ohne Freunde, auf sie erheben können, welchen Reiz auf sie ausüben? Sie hatten ihre Liebschaften und Rendezvous, ihre im Voraus geplanten wöchentlichen Vergnügungen. Die Erinnerung an sie würde ihnen eher lästig sein.
    Trotzdem rief sie vier der Mädchen an. Eine war gerade nicht zu Hause, eine hielt sich in Palm Beach auf, eine in Kalifornien. Die Einzige, die sie erreichte, sagte mit kräftiger Stimme, sie liege mit Grippe im Bett, werde Yanci jedoch anrufen, sobald sie sich wieder gut genug fühle, um auszugehen. Daraufhin schrieb Yanci die Mädchen ab. Sie würde die Illusion, sich gut zu amüsieren, auf andere Weise erzeugen müssen. Denn die Illusion musste erzeugt werden – das war Teil ihres Plans.
    Sie schaute auf die Armbanduhr und sah, dass es drei Uhr nachmittags war. Scott Kimberly hätte inzwischen anrufen oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen müssen. Nun, vermutlich war er beschäftigt – hielt sich in einem Club auf, dachte sie unbestimmt, oder kaufte Krawatten. Er würde vermutlich um vier anrufen.
    Yanci war sich vollends darüber im Klaren, dass sie schnell ans Werk gehen musste. Sie hatte genau ausgerechnet, dass einhundertfünfzig Dollar, vorsichtig ausgegeben, sie zwei Wochen über Wasser halten würden, länger nicht. Noch hatte die Möglichkeit des Scheiterns, die Angst, am Ende dieser Frist ohne Freunde und ohne einen Penny dazustehen, sie nicht zu plagen begonnen.
    Es war nicht das erste Mal, dass sie aus Spaß, um einer begehrten Einladung willen oder aus Neugier ganz bewusst versuchte, einen Mann zu erobern; aber es war das erste Mal, dass sie ihre Pläne unter dem Druck der Notwendigkeit und der Verzweiflung schmiedete.
    Einer ihrer Trümpfe war stets ihre Herkunft gewesen, die Tatsache, dass sie den Eindruck vermittelte, umschwärmt, beliebt und glücklich zu sein. Jetzt musste sie diesen Eindruck selbst erzeugen, und das anscheinend aus dem Nichts. Scott musste auf irgendeine Weise glauben gemacht werden, dass ihr ein guter Teil New Yorks zu Füßen lag.
    Um vier Uhr brach sie zur Park Avenue auf, wo die Sonne gerade spazieren ging, der Februartag sich, nach Frühling duftend, in aller Frische präsentierte und

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