Winterträume
zum Mittagessen und weiter zu einer Nachmittagsvorstellung. Ich habe alles gekauft, was ich gesehen habe. Ich weiß gar nicht, wie ich das alles bezahlen soll.«
Sie erinnerte sich lebhaft, wie sie ihm bei ihrer ersten Begegnung – in der sicheren Annahme, dass er ihr nicht glauben würde – gesagt hatte, sie sei ein Mauerblümchen. Eine solche Bemerkung konnte sie sich heute nicht erlauben, auch nicht im Scherz. Er sollte unbedingt denken, sie sei den ganzen Tag unterwegs gewesen.
Sie setzten sich an einen Tisch und bekamen Oliven-sandwichs und Tee serviert. Er sah so gut aus, dachte sie, und war so fabelhaft gekleidet. Seine grauen Augen blickten sie unter tadellos frisiertem, aschblondem Haar voller Interesse an. Sie fragte sich, wie er seine Zeit verbrachte, ob ihr Kleid ihm gefiel, woran er gerade dachte.
»Wie lange wirst du hier sein?«, fragte er.
»Zwei Wochen, mit Unterbrechungen. Ich fahre zur Februar-Prom nach Princeton und dann für ein paar Tage nach Westchester County, wo eine private Party stattfindet. Schockiert es dich, dass ich schon so bald wieder ausgehe? Vater hätte es so gewollt, weißt du. Er hatte sehr moderne Ansichten.«
Diese Ausführungen hatte sie sich im Zug überlegt. Sie würde auf keine private Party gehen. Sie war nicht zur Princetoner Prom eingeladen. All dies war jedoch notwendig, um besagte Illusion zu erzeugen. Die Illusion bedeutete alles.
»Und außerdem«, fuhr sie lächelnd fort, »sind zwei meiner alten Verehrer in der Stadt, was schön für mich ist.«
Sie sah Scott blinzeln und wusste, dass er die Bedeutung dieser Information erfasst hatte.
»Was sind deine Pläne für den Winter?«, fragte er. »Fährst du wieder heim?«
»Nein. Es ist nämlich so, dass meine Tante diese Woche aus Indien zurückkommt. Sie bezieht dann ihr Haus in Florida, und dort werden wir bis Mitte März bleiben. Danach fahren wir nach Hot Springs, und den Sommer verbringen wir vielleicht in Europa.«
Das war alles reine Erfindung. Ihr erster Brief an ihre Tante, der in schlichten Worten Nachricht von Tom Bowmans Tod gab, hatte seine Adressatin schließlich irgendwann erreicht. Ihre Tante hatte daraufhin mit ein paar dem Anlass gemäßen Zeilen ihr Beileid bekundet und mitgeteilt, sie werde im Laufe der nächsten zwei Jahre nach Amerika zurückkehren, es sei denn, sie beschließe, in Italien zu leben.
»Aber ich darf dich doch irgendwann mal sehen, solange du hier bist«, drängte Scott, nachdem er sich dieses eindrucksvolle Programm angehört hatte. »Wenn du heute Abend nicht mit mir essen kannst, wie wäre es dann am Mittwoch – also übermorgen?«
»Mittwoch? Mal überlegen.« Yanci runzelte in gespielter Nachdenklichkeit die Stirn. »Ich glaube, ich habe am Mittwoch eine Verabredung, aber ich bin mir nicht sicher. Ruf mich doch morgen an, dann sage ich dir Bescheid. Ich würde sehr gerne mit dir ausgehen, aber ich glaube, ich habe schon eine Verabredung.«
»Sehr schön, ich rufe dich also an.«
»Ja, tu das – so gegen zehn.«
»Bitte versuch doch, es möglich zu machen – egal wann.«
»Ich gebe dir Bescheid – wenn ich am Mittwochabend nicht mit dir essen kann, dann ganz bestimmt am Mittag.«
»Gut«, sagte er. »Und ins Theater gehen wir auch.«
Sie tanzten ein paarmal. Mit keinem Wort oder Zeichen verriet Yanci mehr als das oberflächlichste Interesse an ihm, bis sie ganz am Schluss die Hand ausstreckte, um ihm auf Wiedersehen zu sagen.
»Auf Wiedersehen, Scott.«
Für den Bruchteil einer Sekunde – so kurz, dass er nicht sicher sein würde, ob es überhaupt geschehen war, aber lange genug, um ihm, wie vage auch immer, jene Nacht an der Mississippi-Allee ins Gedächtnis zu rufen – schaute sie ihm in die Augen. Dann wandte sie sich rasch ab und eilte davon.
Sie aß in einer kleinen Teestube um die Ecke zu Abend. Es war eine sparsame Mahlzeit, die anderthalb Dollar kostete. Eine Verabredung war keineswegs damit verbunden und auch kein Mann, außer einem älteren Menschen in Gamaschen, der mit ihr zu reden versuchte, als sie aus der Tür trat.
IX
Yanci saß allein in einem der prächtigen Filmtheater – ein Luxus, den sie meinte sich erlauben zu können –, und während sie Mae Murray durch herrlich ausgeschmückte Szenerien wirbeln sah, ließ sie den ersten Tag Revue passieren. Im Rückblick war es ein eindeutiger Erfolg. Sie hatte den richtigen Eindruck vermittelt, sowohl ihren materiellen Wohlstand als auch ihre Haltung gegenüber Scott selbst
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