Winterträume
schwierig werden, einen Träger zu finden.«
Ihr fiel nichts ein, was sie dagegen hätte sagen, kein sinnvoller Einwand, den sie hätte vorbringen können. Sie wünschte, sie hätte ihm erzählt, dass sie mit dem Auto fahre, doch jetzt sah sie keine elegante, plausible Möglichkeit mehr, ihre erste Aussage zu korrigieren.
»Das ist schrecklich nett von dir.«
»Und wenn du zurückkommst, wohnst du dann wieder im Ritz?«
»O ja«, antwortete sie. »Ich behalte meine Zimmer.«
Ihr Zimmer war das kleinste und billigste des Hotels.
Sie würde sich wohl oder übel von ihm an den Zug nach Princeton bringen lassen müssen; sie wusste einfach nicht, was sie sonst hätte tun sollen. Als sie am nächsten Tag nach dem Mittagessen zu packen begann, hatte sie sich derart in die Situation hineinversetzt, dass sie alles in den Koffer tat, was sie auch mitgenommen hätte, wäre sie tatsächlich zu jenem Ball gefahren. Ihr Plan lief darauf hinaus, an der ersten Haltestelle auszusteigen und nach New York zurückzufahren.
Scott kam um halb zwei, um sie abzuholen, und sie nahmen ein Taxi zur Pennsylvania Station. Der Zug war, wie er erwartet hatte, sehr voll, doch er fand einen freien Platz für sie und verstaute ihr Gepäck in der Ablage.
»Ich rufe dich Freitag an, um zu hören, wie du dich benommen hast«, sagte er.
»In Ordnung. Ich werde brav sein.«
Ihre Blicke trafen sich, und in einer unerklärlichen, nur halb bewussten Gefühlsregung befanden sie sich einen Augenblick lang in vollkommener Übereinstimmung. Wenn Yanci erst zurück wäre, schien der Blick zu besagen, ach, dann…
Eine laute Stimme ließ sie zusammenzucken: »Na, so was – Yanci!«
Yanci schaute sich um. Zu ihrem Entsetzen entdeckte sie ein Mädchen namens Ellen Harley, eine jener Bekannten, die sie nach ihrer Ankunft angerufen hatte.
»Yanci Bowman! Also, dich hätte ich ja nun als Allerletzte hier erwartet! Wie geht’s?«
Yanci stellte ihr Scott vor. Ihr Herz klopfte heftig.
»Fährst du auch zur Prom? Wie reizend!«, rief Ellen. »Kann ich mich zu dir setzen? Ich wollte mich schon die ganze Zeit mit dir treffen. Mit wem gehst du denn zum Ball?«
»Kennst du nicht.«
»Vielleicht ja doch.«
Ihre Worte, die wie scharfe Krallen auf Yancis empfindsame Seele trafen, wurden von einem unverständlichen Ausbruch des Schaffners abgeschnitten. Scott verbeugte sich vor Ellen, warf Yanci einen ruhigen Blick zu und eilte davon.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Während Ellen ihren Koffer verstaute und ihren Pelzmantel abwarf, schaute Yanci sich um. Der Wagen wimmelte von fröhlichen Mädchen, deren aufgeregtes Geschnatter die feuchte, zähe Luft wie Rauch erfüllte. Hier und dort saß eine Anstandsdame dazwischen, ein massiger, bröckelnder Fels inmitten einer Blumenwiese, und prophezeite mit stummer und düsterer Fatalität das Ende aller Fröhlichkeit und Jugend. Wie oft war Yanci selber Teil solchen Treibens gewesen, unbekümmert und froh, hatte von den Männern geträumt, die sie kennenlernen würde, den geschundenen Kleppern, die sie am Bahnhof erwarteten, dem schneebedeckten Campus, den großen Kaminfeuern in den Clubhäusern und dem eigens angereisten Orchester, das mit trotzigem Wohlklang gegen den nahenden Morgen anspielte.
Und nun – nun war sie ein Eindringling, nicht geladen, nicht erwünscht. Wie am Tag ihrer Ankunft im Ritz hatte sie das Gefühl, dass ihre Maske ihr jeden Moment vom Gesicht gerissen und sie vor den Augen aller, die in diesem Wagen saßen, als Hochstaplerin entlarvt werden würde.
»Erzähl mir alles!«, sagte Ellen jetzt. »Erzähl, was du so getrieben hast. Ich habe dich letzten Herbst bei keinem einzigen Footballspiel gesehen.«
Womit sie Yanci wissen ließ, dass sie für ihr Teil bei jedem Spiel dabei gewesen war.
Der Schaffner bellte hinten im Wagen: »Nächster Halt Manhattan Transfer!«
Yancis Wangen brannten vor Scham. Sie überlegte, was sie jetzt tun sollte – erwog ein Geständnis, verwarf es wieder, beantwortete Ellens Geschnatter mit ängstlicher Einsilbigkeit –, und als die Geschwindigkeit des Zuges mit unheilvoll polternden Bremsen nachzulassen begann, sprang sie einem verzweifelten Impuls folgend auf.
»Himmel!«, rief sie. »Ich habe meine Schuhe vergessen! Ich muss zurückfahren und sie holen.«
Ellen reagierte darauf mit ärgerlicher Effizienz.
»Ich nehme deinen Koffer«, sagte sie schnell, »du kannst ihn dann bei mir abholen. Ich wohne im Charter Club.«
»Nein!« Yanci kreischte beinahe.
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