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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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noch etwas?«
    »Den Rest meines Wechselgelds.«
    »Den haben Sie bereits. Sie haben mir fünf Dollar gegeben. Vier fünfundsiebzig kosten die Handschuhe, bleiben fünfundzwanzig Cent.«
    »Ich habe Ihnen fünfzig Dollar gegeben.«
    »Sie müssen sich irren.«
    Yanci durchsuchte ihre Handtasche.
    »Ich habe Ihnen fünfzig gegeben!«, wiederholte sie in höchster Erregung.
    »Nein, Ma’am, ich habe es genau gesehen.«
    Sie starrten einander wutentbrannt an. Eine Kassiererin wurde als Zeugin herbeigerufen, dann der Abteilungsleiter; eine kleine Menschenmenge bildete sich.
    »Aber ich bin mir absolut sicher!«, rief Yanci, und zwei Zornestränen zitterten in ihren Augen. »Ich weiß es ganz genau!«
    Der Abteilungsleiter sagte, es tue ihm leid, aber die Dame müsse den Schein wohl zu Hause vergessen haben. In der Kassenschublade befinde sich kein Fünfzigdollar-schein. Der Boden unter Yancis wackliger Welt gab knirschend nach.
    »Wenn Sie mir Ihre Adresse dalassen wollen«, sagte der Abteilungsleiter, »gebe ich Ihnen Bescheid, falls sich doch noch etwas findet.«
    »Ach, ihr grässlichen Dummköpfe!«, rief Yanci, nun völlig außer sich. »Ich hole die Polizei!«
    Und weinend wie ein Kind verließ sie das Geschäft. Draußen übermannte sie Hilflosigkeit. Wie sollte sie etwas beweisen? Es war bereits nach sechs, und der Laden schloss gerade. Welche Angestellte ihren Fünfzigdollarschein auch genommen hatte, sie würde auf dem Heimweg sein, bevor die Polizei eintraf, und warum sollte die New Yorker Polizei Yanci glauben oder ihr auch nur eine faire Behandlung zuteilwerden lassen?
    Verzweifelt kehrte sie ins Ritz zurück, wo sie mit hoffnungslosen, mechanischen Handgriffen ihren Koffer nach dem Geldschein durchsuchte. Er war nicht da. Sie hatte gewusst, dass er nicht da sein würde. Als sie all ihr Geld zusammengekratzt hatte, zeigte sich, dass sie noch einundfünfzig Dollar und dreißig Cent besaß. Daraufhin rief sie an der Rezeption an und bat darum, dass man bis zum folgenden Mittag ihre Rechnung fertigstellen möge – der Gedanke, das Hotel schon vorher zu verlassen, kam ihr vor lauter Niedergeschlagenheit nicht.
    Sie blieb in ihrem Zimmer, wagte noch nicht einmal, sich Eiswasser bringen zu lassen. Dann klingelte das Telefon, und sie hörte die fröhliche, metallische Stimme des Empfangschefs.
    »Miss Bowman?«
    »Ja.«
    »Ihre Rechnung, einschließlich dieser Nacht, beträgt ex-akt einundfünfzig zwanzig.«
    »Einundfünfzig zwanzig?« Ihre Stimme zitterte.
    »Ja, Ma’am.«
    »Danke vielmals.«
    Atemlos saß sie neben dem Telefon, zu verängstigt, um zu weinen. Sie hatte auf der ganzen Welt noch zehn Cent übrig!
    XI
     
    Freitag. Sie hatte kaum geschlafen, hatte schwarze Ringe unter den Augen; selbst ein heißes Bad, gefolgt von einem kalten, vermochte sie nicht aus ihrer verzweifelten Lethargie zu wecken. Sie hatte sich nie ganz klargemacht, was es bedeuten würde, ohne Geld in New York zu sein; ihre Entschlossenheit und Vitalität schienen sich zusammen mit dem Fünfzigdollarschein in Luft aufgelöst zu haben. Nun half alles nichts mehr – sie musste ihren Wunsch wahr machen, heute oder nie.
    Sie war mit Scott zum Tee im Plaza verabredet. Hatte sie es sich nur eingebildet, oder war er am vergangenen Nachmittag betont kühl gewesen? Zum ersten Mal seit Tagen hatte sie nicht ständig achtgeben müssen, dass das Gespräch keine sentimentale Wendung nahm. Und wenn er nun zu dem Schluss gelangt war, dass nichts daraus werden solle – dass sie zu extravagant sei, zu frivol? Einhundert Möglichkeiten gingen ihr an diesem Morgen durch den Sinn – einem trübseligen Morgen, der lediglich durch den Kauf eines Brötchens für zehn Cent in einem Lebensmittelgeschäft etwas aufgelockert wurde.
    Es war seit zwanzig Stunden das Erste, was sie aß, aber dem Lebensmittelhändler gegenüber führte sie sich so auf, als fände sie es amüsant und lustig, ein einzelnes Brötchen zu kaufen. Sie bat ihn sogar, ihr die Weintrauben zu zeigen, die sie abschätzig – und hungrig – begutachtete, um dann zu verkünden, sie werde doch keine nehmen; sie habe den Eindruck, sie seien noch nicht reif. Das Geschäft war voller wohlhabender Damen, die Lebensmittel inspizierten, indem sie Daumen und Zeigefinger zusammendrückten und sie in die Höhe hielten. Yanci hätte gerne eine von ihnen gebeten, ihr Trauben zu schenken. Stattdessen zog sie sich wieder in ihr Zimmer zurück und aß ihr Brötchen.
    Als es vier wurde, merkte sie, dass

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