Winterträume
einem Mann, der mir lästig fällt.«
»Inwiefern fällt er dir lästig?«
»Er möchte, dass ich ihn heirate, und ich glaube, ich möchte es nicht.«
Sie hatte nur den Hauch einer Betonung auf das Wort »glaube« gelegt. Sie wollte damit andeuten, dass sie sich nicht sicher war – jedenfalls nicht ganz.
»Heirate ihn nicht.«
»Das werde ich auch nicht tun – wahrscheinlich.«
»Yanci«, sagte er leise, »erinnerst du dich an die Nacht auf jener Allee…«
Sie wechselte das Thema. Es war Mittagszeit, und der Raum war voller Sonnenlicht. Es war nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit. Wenn er sprach, musste sie jeden Aspekt der Situation unter Kontrolle haben. Er durfte nur sagen, was sie hören wollte; nichts anderes würde genügen.
»Es ist fünf Minuten vor zwei«, sagte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. »Wir sollten jetzt gehen. Ich muss meine Verabredung einhalten.«
»Hast du denn Lust?«
»Nein«, sagte sie schlicht.
Das schien ihn zufriedenzustellen, und sie gingen in die Lobby. Dann erblickte Yanci einen Mann, der offensichtlich voller Unbehagen und in einer Aufmachung, wie man sie an keinem Stammgast des Ritz je zu Gesicht bekommen hätte, dort wartete. Es war Jimmy Long, vor nicht allzu langer Zeit einer der begehrtesten jungen Männer in seiner westlichen Heimatstadt. Und jetzt – er trug doch tatsächlich einen grünen Hut! Sein Jackett, etliche Saisons alt, war eindeutig das Erzeugnis eines bekannten Konfektionswarenhauses. Seine Schuhe, lang und schmal, bogen sich an den Spitzen nach oben. Vom Kopf bis zu den Füßen war alles an ihm falsch, was nur irgend falsch sein konnte. Verlegen war er nur aus Instinkt, völlig ahnungslos, wie linkisch er wirkte, ein Scheusal, eine Nemesis, ein Graus.
»Hallo, Yanci!«, rief er und kam ihr sichtbar erleichtert entgegen.
Mit heroischer Anstrengung wandte Yanci sich Scott zu, damit er den Blick auf sie gerichtet hielt. Noch während sie das tat, registrierte sie, wie untadelig sein Jackett und seine Krawatte aussahen.
»Danke für das Mittagessen«, sagte sie mit strahlendem Lächeln. »Bis morgen.«
Dann lief, nein: stürzte sie auf Jimmy Long zu, ignorierte seine ausgestreckte Hand und schob ihn – mit einem raschen »Komm schnell!«, um sein etwas beleidigtes Erstaunen zu mildern – so ungestüm durch die Drehtüren, dass sie überall anstießen.
Der Vorfall bereitete ihr Kopfzerbrechen. Sie tröstete sich damit, dass Scott den Mann nur flüchtig gesehen und vermutlich ohnehin nur auf sie geachtet hatte. Trotzdem war sie entsetzt, und es ist zweifelhaft, ob ihre Gesellschaft Jimmy Long genügend Freude bereitete, um ihn für die billigen Plätze in der zwanzigsten Reihe, die er im Black’s Drugstore erworben hatte, zu entschädigen.
Jimmy Long mochte zwar als Köder jämmerlich versagt haben, doch am Donnerstag kam es zu einer Begebenheit, die ihr große Befriedigung verschaffte und ihre Geistesgegenwart bewies. Sie hatte eine Verabredung zum Mittagessen erfunden, und Scott wollte sie um zwei Uhr abholen, um sie ins Hippodrom auszuführen. Unvorsichtigerweise aß sie im Speisesaal des Ritz zu Mittag und schlenderte fast Seite an Seite mit einem gutaussehenden jungen Mann hinaus, der am Nebentisch gesessen hatte. Sie dachte, dass sie Scott in der Lobby treffen würde, doch als sie den Ausgang des Restaurants erreichte, sah sie ihn nicht weit entfernt davon stehen.
Auf einen blitzartigen Impuls hin wandte sie sich dem gutaussehenden Mann neben ihr zu, verneigte sich freundlich und sagte mit gut hörbarer, lieblicher Stimme: »Also dann, bis später.«
Und bevor der Mann auch nur sein eigenes Erstaunen registrieren konnte, wirbelte sie herum und gesellte sich zu Scott.
»Wer war das?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Sieht er nicht hinreißend aus?«
»Wenn dir diese Art von Aussehen gefällt.«
Scotts Ton implizierte, dass er den betreffenden Herrn effeminiert und viel zu vornehm gekleidet fand. Yanci lachte, voll objektiver Bewunderung für ihre raffinierte List.
Zur Vorbereitung auf jenen alles entscheidenden Samstagabend ging sie am Donnerstag in ein Geschäft an der Forty-second Street, um sich lange Handschuhe zu kaufen. Sie fand welche und gab der Verkäuferin einen Fünfzig-dollarschein, damit ihr mittlerweile recht leichtes Portemonnaie sich dank des Wechselgelds schwerer anfühlen würde. Zu ihrer Überraschung reichte die Verkäuferin ihr das Paket und ein Fünfundzwanzigcentstück.
»Wünschen Sie sonst
Weitere Kostenlose Bücher