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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Eisenwarengroßhandel an den jungen Roscoe Button übergegangen war – bewarb sich ein Mann von augenscheinlich ungefähr zwanzig Jahren zum Studium an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Er machte nicht den Fehler, irgendjemandem mitzuteilen, dass er die Fünfzig längst überschritten hatte, und auch den Umstand, dass sein Sohn zehn Jahre zuvor an derselben Alma Mater abgeschlossen hatte, ließ er unerwähnt.
    Er bestand die Prüfung und nahm fast schon vom ersten Tage an eine herausragende Stellung unter den Studenten seines Jahrgangs ein, was zum Teil damit zusammenhing, dass er ein wenig älter war als die übrigen Kommilitonen im ersten Semester, deren Alter im Durchschnitt bei achtzehn Jahren lag.
    Vor allem aber war sein Erfolg seinem herausragenden Einsatz im Football-Match gegen Yale geschuldet, wo er mit ungeheurem Schneid und eiskalter, unbarmherziger Rage sieben Touchdowns und vierzehn Field Goals für Harvard erzielt und obendrein dafür gesorgt hatte, dass alle elf Spieler von Yale einer nach dem anderen ohnmächtig vom Platz getragen werden mussten. Das machte ihn zum berühmtesten Mann von ganz Harvard.
    Im dritten Studienjahr, dem Jahr vor den Abschlussexamina, gelang es ihm merkwürdigerweise gerade noch mit Ach und Krach, überhaupt einen Platz im Team zu ergattern. Die Trainer sagten, er habe abgenommen, und wer genauer hinsah, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er auch nicht mehr ganz so groß war wie früher. Er schaffte keinen einzigen Touchdown – im Grunde hatte man ihn nur darum ins Team geholt, weil man sich erhoffte, dass sein legendärer Ruf das Yale-Team in Angst und Schrecken versetzen und Chaos unter den gegnerischen Spielern stiften werde.
    Im letzten Jahr schaffte er es gar nicht mehr in die Mannschaft. Er war mittlerweile dermaßen zart und schmächtig, dass ein paar Leute aus dem zweiten Studienjahr ihn gar für einen Neuling aus dem ersten Semester hielten, was ihn entsetzlich kränkte. Nicht lange, und er galt als eine Art Wunderkind – einer, der kurz vor dem Abschluss stand, obwohl er doch ganz offensichtlich höchstens sechzehn war. Die Weltgewandtheit seiner Kommilitonen schockierte ihn nicht selten; das Studieren fiel ihm immer schwerer – es kam ihm so vor, als ob die anderen alle weiter seien als er selbst. Er hatte gehört, wie sich seine Kommilitonen über St. Midas unterhielten, die berühmte Vorbereitungsschule, an der so viele von ihnen die Universitätsreife erworben hatten, und er nahm sich vor, nach den Abschlussexamina ebenfalls nach St. Midas zu gehen, denn er hatte das Gefühl, dass ihm das wohlbehütete Leben unter gleich großen Knaben eher zusagen werde.
    1914 hatte er sein Studium beendet und kehrte mit seinem Harvard-Diplom in der Tasche nach Baltimore zurück. Hildegarde lebte mittlerweile in Italien, und so zog Benjamin bei seinem Sohn Roscoe ein. Dort war er zwar im Großen und Ganzen willkommen, allerdings war nicht zu übersehen, dass Roscoes Verhältnis zu seinem Vater keineswegs von Herzlichkeit geprägt war; vielmehr spürte man ganz deutlich, dass Benjamin, der in seinem pubertären Weltschmerz durchs Haus geisterte, seinem Sohn doch eher etwas im Wege war. Roscoe war inzwischen verheiratet und ein angesehener Mann in der besseren Gesellschaft von Baltimore, und er wollte nicht, dass im Zusammenhang mit seiner Familie irgendwelche Skandale an die Außenwelt drangen.
    Benjamin war unterdessen bei den Debütantinnen und beim Klüngel der jüngeren Collegestudenten schon lange in Ungnade gefallen und fühlte sich so ziemlich von aller Welt im Stich gelassen, ausgenommen die drei, vier Fünfzehnjährigen aus der Nachbarschaft, die ihm gern Gesellschaft leisteten. Nun erinnerte er sich wieder seines Vorhabens, an die Schule von St. Midas zu gehen.
    »Hör zu«, sagte er eines Tages zu Roscoe, »ich hab dir doch schon mehr als einmal gesagt, dass ich auf eine Vorbereitungsschule gehen möchte.«
    »Na, dann geh doch«, entgegnete Roscoe kurzerhand. Er fand das alles sehr unangenehm und wollte sich auf keine Diskussion einlassen.
    »Aber alleine kann ich da nicht auftauchen«, sagte Benjamin hilflos. »Du musst mich anmelden und mich begleiten.«
    »Ich habe keine Zeit«, erklärte Roscoe brüsk. Er kniff die Augen zusammen und betrachtete seinen Vater mit sichtlichem Unbehagen. »Also weißt du«, fügte er hinzu, »ich finde, du solltest wirklich endlich aufhören mit diesem Unfug. Du solltest endlich die Bremse

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