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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Papierstreifen auf sich hatte. Er weinte, weil die anderen Jungen größer waren als er, und er fürchtete sich vor ihnen. Die Kindergärtnerin redete auf ihn ein, doch sosehr er sich auch Mühe gab, sie zu verstehen, er verstand sie einfach nicht.
    Da nahm man ihn aus dem Kindergarten, und nun wurde seine Amme Nana in ihrem gestärkten Gingankleid zum Mittelpunkt seiner winzigen Welt. Bei schönem Wetter gingen sie im Park spazieren; dann zeigte Nana auf ein großes graues Ungeheuer und sagte »Elefant«, und Benjamin sprach ihr nach, und wenn er abends ausgezogen wurde und ins Bettchen musste, sagte er ein ums andere Mal ganz laut zu ihr: »Elifant, Elifant, Elifant.« Manchmal erlaubte Nana ihm, auf dem Bett herumzuhüpfen, was großen Spaß machte, denn wenn man sich dabei so richtig toll auf den Popo plumpsen ließ, schnellte man gleich noch einmal hoch und stand wieder auf den Füßen, und wenn man beim Hüpfen ganz lange »Ah« machte, dann gab es so einen schönen wabbeligen Ton.
    Am liebsten nahm er sich einen großen Spazierstock vom Garderobenständer und lief damit umher, schlug auf Stühle und Tische ein und sagte immer: »Kämpfe-kämpfe-kämpfe.« Wenn Besuch da war, machten die alten Damen »Eideidei« zu ihm, was er interessant fand, und die jungen Damen wollten ihn küssen, was er gelinde gelangweilt über sich ergehen ließ. Und wenn der lange Tag abends um fünf zu Ende war, dann ging er mit Nana die Treppe hinauf und wurde löffelweise mit Hafergrütze und schönem süßem Brei gefüttert.
    Verstörende Erinnerungen suchten ihn nicht heim in seinem kindlichen Schlummer; es gab keine Reminiszenz an seine heldenhaften Studententage oder an die glanzvollen Jahre, da er die Herzen vieler Mädchen hatte höherschlagen lassen. Es gab nichts als die schützenden weißen Wände seines Bettchens und Nana und einen Mann, der ihn hin und wieder besuchen kam, und einen riesengroßen orangeroten Ball, auf den Nana immer zeigte, ehe es dunkel wurde und sie ihn schlafen legte, und zu dem sie »Sonne« sagte. Und wenn die Sonne weg war, wurden seine Augen schläfrig – Träume gab es keine, ihn suchten keine Träume heim.
    Die Vergangenheit – der wilde Sturm an der Spitze seiner Männer den San Juan Hill hinauf, die ersten Jahre seiner Ehe, wenn er an den Sommerabenden noch spät in der geschäftigen Stadt gearbeitet hatte für seine junge Hildegarde, die er liebte, die Zeit davor, wenn er in der Monroe Street in dem düsteren alten Haus der Buttons bis tief in die Nacht hinein rauchend mit seinem Großvater auf der Veranda gesessen hatte –, all das war verblasst, aus seinem Gedächtnis gelöscht wie ein unwirklicher Traum, als ob es nie geschehen wäre.
    Er konnte sich an nichts erinnern. Er konnte sich nicht einmal recht daran erinnern, ob die Milch beim letzten Füttern warm oder kalt gewesen war oder wie er die Tage zugebracht hatte – es gab nichts als sein Bettchen und Nanas vertraute Gegenwart. Und dann erinnerte er sich an gar nichts mehr. Wenn er Hunger hatte, schrie er – das war alles. Die Nachmittage über und die Nächte hindurch atmete er, und über ihm gab es leises, kaum hörbares Gebrabbel und Gemurmel und Gerüche, die sich kaum voneinander unterschieden, und Licht und Dunkelheit.
    Dann gab es nur noch Dunkelheit, und sein weißes Bettchen, die verschwommenen Gesichter, die sich über ihn beugten, der warme, süße Duft von Milch – all das verblasste und schwand endlich ganz und gar aus seiner Erinnerung.

Ein Diamant – so groß wie das Ritz
     
    I
     
    John T. Unger stammte aus einer Familie, die in Hades – einer Kleinstadt am Mississippi – seit Generationen wohlbekannt war. Johns Vater hatte den hart umkämpften Titel des Amateurgolfmeisters in zahlreichen Wettspielen verteidigt, Mrs. Unger war, »so weit die Sonne scheint«, wie man dort sagte, für ihre politischen Reden bekannt, und der junge John T. Unger, der gerade sechzehn geworden war, hatte schon alle neuen Tänze aus New York getanzt, noch bevor er lange Hosen trug. Jetzt sollte er das Haus für eine bestimmte Zeit verlassen. Seine Eltern hatten große Hochachtung vor einer schulischen Ausbildung in Neuengland – der Fluch aller Provinzstädte, der diese alljährlich ihrer vielversprechendsten jungen Männer beraubte. Keine andere als die St. Midas’ School bei Boston durfte es sein. Hades war einfach zu klein für ihren geliebten, talentierten Sohn.
    Nun bedeuten in Hades – wie Sie wissen, falls Sie einmal

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