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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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flösse. Mehr und mehr bereitete es ihm Vergnügen, des Morgens aufzustehen, beschwingten Schritts und voller Tatendrang im Sonnenschein die belebte Straße entlangzugehen und unermüdlich seine Frachtsendungen von Hämmern und Schiffsladungen von Nägeln zu bearbeiten. Im Jahre 1890 schließlich gelang ihm, rein geschäftlich gesehen, sein berühmter großer Wurf; da brachte er nämlich den Vorschlag ein, dass sämtliche Nägel zum Vernageln der zur Verschiffung von Nägeln benötigten Kisten Eigentum des Empfängers bleiben sollten – und dank der Zustimmung des Obersten Richters Mr. Fossile erlangte dieser Vorschlag Gesetzeskraft, wodurch die Firma Roger Button & Co., Eisenwarengroßhandel, pro Jahr über sechshundert Nägel einsparen konnte.
    Außerdem stellte Benjamin fest, dass ihn die heitere Seite des Lebens immer stärker zu faszinieren begann. Ein Indiz seiner wachsenden Begeisterung für Vergnügungen ist zum Beispiel, dass er der Erste war, der in Baltimore ein Automobil besaß und damit herumfuhr. Neidisch glotzten seine Altersgenossen ihn an, wenn sie diesem Ausbund an Gesundheit und Vitalität auf der Straße begegneten.
    »Der sieht ja von Jahr zu Jahr jünger aus«, sagten sie. Und wenn der alte Roger Button, der mittlerweile fünfundsechzig war, es versäumt hatte, seinem Sohn ein angemessenes Willkommen zu entbieten, so machte er das nunmehr wett, indem er ihn geradezu vergötterte.
    Und hier kommen wir jetzt zu einem unerfreulichen Punkt, den wir am besten so schnell wie möglich hinter uns bringen. Es gab nur eine einzige Sache, die Benjamin Button Kummer machte: Der Zauberbann, in den ihn seine Gattin einst geschlagen hatte, war dahin.
    Hildegarde war unterdessen eine Frau von fünfunddreißig, und Roscoe, ihr gemeinsamer Sohn, war vierzehn. In den ersten Ehejahren hatte Benjamin sie förmlich angebetet. Doch nach und nach wich der honigfarbene Ton ihres Haars einem langweiligen Braun, das blaue Emaille ihrer Augen wurde stumpf und erinnerte immer mehr an billiges Steinzeug; obendrein aber und vor allem war sie mittlerweile viel zu sehr ihren Gewohnheiten verhaftet, zu selbstgefällig, zu zufrieden, zu blutleer in Momenten der Erregung und von zu nüchternem Geschmack. In der Brautzeit war sie es gewesen, die Benjamin zu allen möglichen Tanzvergnügen und Diners »geschleppt« hatte – heute war es umgekehrt. Sie begleitete ihn zwar noch, wenn er in Gesellschaft ging, doch ohne Enthusiasmus, schon angefressen von der ewigen Trägheit, die jeden von uns irgendwann ereilt, die heimlich, still und leise von uns Besitz ergreift und uns bis ans Ende unserer Tage nicht mehr loslässt.
    Immer größer wurde Benjamins Unzufriedenheit. Als 1898 der Spanisch-Amerikanische Krieg ausbrach, hatte sein Heim so sehr allen Reiz für ihn verloren, dass er beschloss, in die Armee einzutreten. Seine geschäftlichen Verbindungen verhalfen ihm zum Rang eines Captains, und dank seiner großen Anpassungsfähigkeit wurde er bald schon zum Major und schließlich gar zum LieutenantColonel befördert, und dies gerade noch rechtzeitig genug, um an der berühmten Erstürmung des San Juan Hill teilzunehmen. Dabei wurde er leicht verwundet und erhielt einen Orden.
    Von da an fühlte sich Benjamin so sehr zum Soldatenalltag und zu den aufregenden Seiten eines Lebens in Uniform hingezogen, dass er sich nur ungern davon verabschiedete, allein, er musste sich wieder seinen Geschäften widmen, und darum quittierte er den Dienst und kehrte heim. Am Bahnhof wurde er mit klingendem Spiel empfangen, und die Kapelle geleitete ihn bis zu seinem Haus.
    VIII
     
    Auf der Veranda erwartete ihn Hildegarde, die eine große seidene Fahne schwenkte, und schon als er sie küsste, spürte er beklommen, dass diese drei Jahre ihren Tribut gefordert hatten. Sie war jetzt eine Frau von vierzig Jahren, und auf ihrem Kopf erspähte er eine zaghafte Schützenlinie von grauen Haaren. Was für ein niederschmetternder Anblick!
    Oben in seinem Zimmer sah er sein Bild in dem vertrauten Spiegel – er trat näher heran, betrachtete besorgt und prüfend sein Gesicht, verglich es einen Moment später mit einer Fotografie, auf der er in Uniform abgebildet war und die er unmittelbar vor dem Kriege hatte aufnehmen lassen.
    »Gütiger Gott!«, sagte er laut. Der Prozess ging weiter. Kein Zweifel – er sah jetzt wie ein Dreißigjähriger aus. Doch statt dass er sich freute, war ihm unbehaglich zumute – er wurde jünger. Bis jetzt hatte er immer gehofft, der

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