Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
und Gärten hing. Hier und da bildeten Ulmen elegante, schattenspendende Haine und standen in seltsamem Kontrast zu den dichten Fichtenwäldern, welche die Berge in ihrem blaugrünen Griff hielten. John sah drei Rehe hintereinander aus einer etwa fünfhundert Meter entfernten Baumgruppe treten und mit staksiger Ausgelassenheit in den schwarz geäderten Halbschatten einer anderen eintauchen. Es hätte ihn nicht gewundert, eine bocksfüßige, flötenspielende Gestalt unter den Bäumen einhertanzen zu sehen oder zwischen den grünsten der grünen Blätter einen Blick auf eine rosige Nymphe mit hellblondem Haar zu erhaschen.
    In dieser unbestimmten kühlen Hoffnung schlenderte er die marmornen Stufen hinunter, schreckte am Fuß der Treppe zwei seidige russische Windhunde aus dem Schlaf und machte einen Spaziergang auf einem Weg aus weißen und blauen Backsteinen, der in keine bestimmte Richtung zu führen schien.
    Er genoss das alles, sosehr er nur konnte. Das Glück wie die Unzulänglichkeit der Jugend ist es, dass sie nie in der Gegenwart leben kann, sondern diese stets mit der Vorstellung einer leuchtenden Zukunft vergleichen muss – Blumen und Gold, Mädchen und Sterne sind lediglich Vorboten, Prophezeiungen jenes unvergleichlichen, unerreichbaren Traums, den die Jugend träumt.
    John folgte einer sanften Biegung, wo dichte Rosenbüsche die Luft mit ihrem schweren Duft erfüllten, und ging durch den Park auf ein bemoostes Fleckchen unter ein paar Bäumen zu. Er hatte noch nie auf Moos gelegen und wollte wissen, ob es tatsächlich so weich war, wie es die Redensart wollte. In diesem Augenblick bemerkte er ein Mädchen, das über den Rasen auf ihn zukam – das schönste Geschöpf, das er je gesehen hatte.
    Sie trug ein weißes Gewand, das gerade über die Knie reichte, und hatte das Haar mit einem von Saphirsplittern gehaltenen Resedenkranz aufgesteckt. Ihre nackten, rosigen Füße ließen Tautropfen aufstieben. Sie war jünger als John, nicht älter als sechzehn.
    »Hallo«, rief sie verhalten. »Ich bin Kismine.«
    Für John war sie bereits weit mehr als das. Er verlangsamte seine Schritte, um ihr nicht auf die nackten Füße zu treten.
    »Wir sind uns noch nicht vorgestellt worden«, sagte sie. Ihre blauen Augen fügten hinzu: »Und da ist dir eine Menge entgangen!« – »Gestern Abend hast du nur meine Schwester Jasmine kennengelernt. Mir war nicht gut – eine Salatvergiftung«, fuhr sie mit leiser Stimme fort, und ihre Augen sagten: »Ich bin bezaubernd, wenn ich krank bin – und wenn ich gesund bin ebenfalls.«
    »Ich bin unerhört beeindruckt«, sagten Johns Augen, »und auch nicht gerade langsam.« – »Hallo, wie geht’s?«, sagte er. »Ich hoffe, ein bisschen besser.« – »Du Süße«, fügten seine beseelten Augen hinzu.
    John bemerkte jetzt, dass sie weiter dem Pfad folgten. Auf Kismines Vorschlag setzten sie sich auf das Moos, wobei John zu prüfen vergaß, wie weich es war.
    Was Frauen betraf, so war er kritisch. Der kleinste Makel – ein dicker Knöchel, eine belegte Stimme, ein starrer Blick – genügte, um ihn vollkommen gleichgültig zu machen. Hier jedoch befand er sich zum ersten Mal in seinem Leben in Gesellschaft eines Mädchens, das ihm wie der Inbegriff körperlicher Perfektion erschien.
    »Stammst du von der Ostküste?«, fragte Kismine.
    Ihr Interesse bezauberte ihn.
    »Nein«, antwortete er schlicht, »ich stamme aus Hades.«
    Entweder hatte sie noch nie von einem Ort dieses Namens gehört, oder es fiel ihr keine verbindliche Erwiderung darauf ein – jedenfalls verfolgte sie das Thema nicht weiter.
    »Ich werde im Herbst auf eine Schule im Osten gehen«, sagte sie. »Meinst du, es wird mir dort gefallen? Ich fahre nach New York zu Miss Bulge. Sie soll sehr streng sein, aber die Wochenenden werde ich bei meiner Familie in unserem New Yorker Haus verbringen. Vater hat nämlich erfahren, dass die Mädchen immer nur zu zweit ausgehen dürfen.«
    »Dein Vater will, dass du stolz bist«, sagte John.
    »Das sind wir auch«, antwortete sie, und ihre Augen glänzten würdevoll. »Keiner von uns ist je bestraft worden. Vater sagt, wir sollten niemals bestraft werden. Als meine Schwester Jasmine noch ein kleines Mädchen war, hat sie ihn mal eine Treppe hinuntergestoßen, und er ist einfach aufgestanden und weitergehumpelt.
    Mutter war… nun ja, ein wenig überrascht«, fuhr Kismine fort, »als sie hörte, dass du aus… aus dem Ort stammst, aus dem du stammst. Sie sagte, dass sie als

Weitere Kostenlose Bücher