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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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über eure Lieben daheim. Wenn ihr Männer wärt, denen die Lieben daheim am Herzen liegen, wärt ihr gar nicht erst Flieger geworden.«
    Ein hochgewachsener Mann löste sich aus der Gruppe und hob die Hand, um den Mann, der ihn gefangen hielt, auf sich aufmerksam zu machen.
    »Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen!«, rief er. »Sie tun so, als wären Sie ein anständiger, gerechter Mensch.«
    »Absurd. Wie könnte ein Mann in meiner Position gegenüber Leuten wie euch anständig und gerecht sein? Das wäre ja gerade so, als würde man von einem Spanier erwarten, er solle seinem Steak gegenüber anständig und gerecht sein.«
    Bei dieser groben Bemerkung verdüsterten sich die Mienen der zwei Dutzend Steaks, doch der hochgewachsene Mann fuhr fort: »Na gut. Darüber haben wir ja schon diskutiert. Sie sind kein Menschenfreund, und Sie sind nicht anständig und gerecht, aber Sie sind ein Mensch – jedenfalls behaupten Sie das –, und Sie sollten imstande sein, sich an unsere Stelle zu versetzen und zu sehen, wie… wie…«
    »Nun?«, fragte Washington kalt.
    »…wie unnötig –«
    »Nicht für mich!«
    »Dann eben: wie grausam –«
    »Auch darüber haben wir schon gesprochen. Wo es um die Selbsterhaltung geht, ist Grausamkeit kein Kriterium. Das wisst ihr – ihr wart Soldaten. Du hast noch einen Versuch.«
    »Na, dann eben: wie dumm.«
    »Stimmt«, gab Washington zu. »Da habt ihr recht. Aber nennt mir eine Alternative. Ich habe euch angeboten, jeden, der es wünscht, schmerzlos töten zu lassen. Ich habe euch angeboten, eure Frauen, Liebsten, Kinder, Mütter entführen und hierherbringen zu lassen. Ich würde diese Grube vergrößern und ausbauen lassen und euch für den Rest eures Lebens kleiden und ernähren. Wenn es eine Methode gäbe, einen gezielten, dauerhaften Gedächtnisverlust herbeizuführen, würde ich euch allesamt dieser Prozedur unterziehen und irgendwo außerhalb meines Besitzes freilassen. Aber weiter sind meine Überlegungen nicht gediehen.«
    »Wie wär’s, wenn Sie uns einfach vertrauen würden?«, rief einer.
    »Das kann nicht euer Ernst sein«, erwiderte Washington verächtlich. »Ich habe einen von euch heraufgeholt, damit er meiner Tochter Italienisch beibringt. Vorige Woche ist er geflohen.«
    Aus den Kehlen der zwei Dutzend Männer erhob sich ein wildes Jubelgeheul, sie gerieten in einen regelrechten Freudentaumel. In einer plötzlichen Aufwallung animalischer Energie tanzten und jauchzten die Gefangenen und begannen spielerisch miteinander zu ringen. Einige rannten sogar an den Glaswänden hinauf, so weit es ging, und rutschten wieder auf den Boden der Schüssel. Der hochgewachsene Mann stimmte ein Lied an, in das alle anderen einfielen:
»Ja, wir werd’n den Kaiser hängen,
An einem Apfelbaum…«
    Braddock Washington saß in undurchdringlichem Schweigen da, bis das Lied zu Ende war.
    »Ihr müsst wissen«, sagte er, als er endlich wieder ein Minimum an Aufmerksamkeit hatte, »dass ich keinen Groll gegen euch hege. Ich sehe es gern, wenn ihr euch amüsiert. Darum habe ich euch auch nicht gleich alles erzählt. Dieser Bursche – wie hieß er doch gleich? Critchtichiello? – ist von vierzehn meiner Agenten erschossen worden.«
    Da die Männer nicht wussten, dass dies nur angeblich und an vierzehn verschiedenen Orten geschehen war, erstarb der Tumult augenblicklich.
    »Aber«, rief Washington mit einem wütenden Unterton, »er hat versucht zu fliehen. Glaubt ihr vielleicht, dass ich mich nach einer solchen Erfahrung noch auf irgendwelche Experimente einlasse?«
    Wieder ertönten Rufe.
    »Na klar!«
    »Vielleicht möchte Ihre Tochter Chinesisch lernen.«
    »Ich kann auch Italienisch! Meine Mutter war aus Italien.«
    »Vielleicht willse ja auch New Yorkisch lern’.«
    »Wenn sie so eine kleine Blonde mit großen blauen Augen ist, kann ich ihr was Besseres beibringen als Italienisch.«
    »Ich kenn’ ein paar irische Lieder, und früher war ich Messingschmied.«
    Mr. Washington beugte sich unvermittelt vor und drückte mit seinem Stock auf den Knopf im Gras, worauf die Szenerie dort unten sogleich in Dunkelheit versank und nur der finster gähnende, mit den abstoßend schwarzen Zähnen des Gitters bedeckte Schlund zu sehen war.
    »He!«, rief eine Stimme von unten. »Soll das heißen, Sie gehen, ohne uns Ihren Segen gegeben zu haben?«
    Doch Mr. Washington war, gefolgt von den beiden Jungen, bereits unterwegs zum neunten Loch des Golfplatzes, als wären die Grube und ihr

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