Winterträume
junges Mädchen… Aber sie ist spanischer Abstammung, musst du wissen, und sehr altmodisch.«
»Verbringt ihr viel Zeit hier?«, fragte John, um zu verbergen, dass ihre Bemerkung ihn ein wenig gekränkt hatte. Sie schien nicht sehr freundlich auf seine provinzielle Herkunft abzuzielen.
»Percy, Jasmine und ich sind jeden Sommer hier, aber nächstes Jahr wird Jasmine nach Newport fahren, und danach, im Herbst, wird sie in London in die Gesellschaft eingeführt. Sie wird bei Hof vorgestellt.«
»Weißt du eigentlich«, sagte John zögernd, »dass du viel weltgewandter bist, als ich zunächst gedacht habe?«
»Ach, nein, das bin ich nicht«, antwortete sie rasch. »Das will ich auch gar nicht sein. Weltgewandte junge Leute sind schrecklich gewöhnlich, findest du nicht auch? Nein, ich bin wirklich nicht weltgewandt. Und wenn du sagst, dass ich es doch bin, fange ich an zu weinen.«
Sie war so bekümmert, dass ihre Unterlippe bebte. John sah sich gezwungen zu sagen: »Ich habe es nicht so gemeint – ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen.«
»Ich meine, es würde mir nichts ausmachen, wenn ich weltgewandt wäre «, fuhr sie fort, »aber ich bin es nicht. Ich bin ganz und gar mädchenhaft und unschuldig. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, und ich lese nichts anderes als Gedichte. Von Mathematik und Chemie weiß ich so gut wie nichts. Ich kleide mich sehr schlicht – eigentlich kann man kaum von Kleiden sprechen. Ich glaube, man kann mir wirklich nicht nachsagen, ich sei weltgewandt. Ich finde, Mädchen sollten ihre Jugend auf gesunde Art und Weise verbringen.«
»Das finde ich auch«, stimmte John aus vollem Herzen zu.
Kismine war wieder fröhlich. Sie lächelte ihn an, und eine stille Träne rann aus dem Winkel eines ihrer blauen Augen.
»Ich mag dich«, flüsterte sie ihm vertraulich zu. »Wirst du die ganze Zeit, die du hier bist, mit Percy verbringen, oder wirst du auch nett zu mir sein? Stell dir vor: Ich bin absolut unschuldig. Noch nie in meinem Leben war ein Junge in mich verliebt. Ich durfte bisher nicht mal mit einem Jungen allein sein – außer mit Percy, natürlich. Ich bin extra hierhergekommen, weil ich gehofft habe, dich irgendwo zu treffen, wo niemand sonst dabei sein würde.«
Sehr geschmeichelt machte John eine tiefe Verbeugung, wie er es in der Tanzschule in Hades gelernt hatte.
»Wir sollten lieber gehen«, sagte Kismine freundlich. »Ich muss um elf bei Mutter sein. Du hast mich nicht einmal um einen Kuss gebeten. Ich dachte, heutzutage hätten Jungen gar nichts anderes im Sinn.«
John richtete sich stolz auf.
»Manche vielleicht«, sagte er, »aber ich nicht. In Hades tun Mädchen so was nicht.«
Seite an Seite gingen sie zurück zum Château.
VI
Im vollen Sonnenschein stand John Mr. Braddock Washington gegenüber. Der Mann war um die vierzig und hatte ein stolzes, leeres Gesicht, intelligent blickende Augen und eine kräftige Statur. Morgens roch er nach Pferden – den besten Pferden. Er hielt einen schlichten Gehstock aus grauem Birkenholz in der Hand, dessen Griff aus einem großen Opal bestand. Er und Percy führten John herum.
»Hier sind die Sklaven untergebracht.« Er wies mit dem Stock auf einen klosterartigen Komplex aus Marmor zu ihrer Linken, der in elegantem gotischem Stil an der Bergflanke errichtet war. »In jungen Jahren habe ich mich durch einen absurden Idealismus von den wirklich wichtigen Dingen des Lebens ablenken lassen. Damals lebten die Sklaven in Luxus. So habe ich zum Beispiel jede Wohnung mit einem gekachelten Bad ausstatten lassen.«
»Ich nehme an«, sagte John mit einem schmeichlerischen Lächeln, »dass sie in den Badewannen ihre Kohlen gelagert haben. Mr. Schnlitzer-Murphy hat mir mal erzählt –«
»Die Ansichten von Mr. Schnlitzer-Murphy sind vermutlich nicht weiter berichtenswert«, unterbrach ihn Braddock Washington kühl. »Meine Sklaven haben in ihren Badewannen keine Kohlen aufbewahrt. Sie hatten Anweisung, täglich ein Bad zu nehmen, und daran haben sie sich auch gehalten, sonst hätte ich ihnen eine Behandlung mit Schwefelsäureshampoo verpassen lassen. Ich hatte andere Gründe, die Anordnung zu widerrufen: Mehrere von ihnen haben sich erkältet und sind gestorben. Für gewisse Rassen ist Wasser schädlich – es sei denn als Getränk.«
John lachte und beschloss, ihm mit einem nüchternen Nicken beizupflichten. In Braddock Washingtons Gesellschaft fühlte er sich unbehaglich.
»All diese Neger sind Nachkommen derjenigen,
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