Winterträume
Ende des Bürgerkrieges war er ein fünfundzwanzigjähriger Oberst mit einer zerstörten Plantage und etwa tausend Golddollar.
Fitz-Norman Culpepper Washington – so der Name des jungen Obersten – beschloss, die Plantage seinem jüngeren Bruder zu überschreiben und nach Westen zu ziehen. Er wählte zwei Dutzend seiner treuesten Schwarzen aus, die ihn selbstverständlich tief verehrten, kaufte fünfundzwanzig Fahrscheine und fuhr gen Westen, wo er in ihrem Namen Land in Besitz nehmen und Rinder- und Schafzucht betreiben wollte.
Er war noch keinen Monat in Montana, und die Dinge entwickelten sich alles andere als erfreulich, als er seine große Entdeckung machte. Er hatte sich in den Bergen verirrt, und nachdem er einen ganzen Tag lang nichts gegessen hatte, wurde er hungrig. Da er kein Gewehr mitgenommen hatte, war er gezwungen, ein Erdhörnchen zu verfolgen, und dabei bemerkte er, dass das Tier etwas Schimmerndes im Maul trug. Kurz bevor es in seiner Höhle verschwand – die Vorsehung wollte offenbar nicht, dass es zur Stillung menschlichen Hungers diente –, ließ es seine Last fallen. Als Fitz-Norman sich auf die Erde setzte, um die Situation zu überdenken, stach ihm ein Blitzen ins Auge. Zehn Sekunden später war sein Hunger verflogen und er selbst um hunderttausend Dollar reicher. Das Erdhörnchen, das sich zu seiner Verärgerung so beharrlich geweigert hatte, gegessen zu werden, hatte ihm einen großen, lupenreinen Diamanten geschenkt.
Spätabends kam er zurück ins Lager, und zwölf Stunden später waren alle männlichen Schwarzen bei der Erdhörnchenhöhle und gruben wie verrückt. Er sagte ihnen, er habe ein Bergkristallvorkommen entdeckt, und da lediglich einer oder zwei von ihnen jemals auch nur einen kleinen Diamanten gesehen hatten, glaubten sie ihm aufs Wort. Als ihm die Größe seiner Entdeckung bewusst wurde, stand er vor einem Dilemma. Der Berg bestand tatsächlich aus Diamant – er war buchstäblich ein einziger riesiger Diamant. Fitz-Norman füllte vier Satteltaschen mit glitzernden Proben und ritt nach St. Paul. Dort gelang es ihm, ein halbes Dutzend kleinerer Steine zu verkaufen – als er es mit einem größeren versuchte, fiel der Juwelier in Ohnmacht, und Fitz-Norman wurde wegen Störung der öffentlichen Ordnung festgenommen. Er floh aus dem Gefängnis und nahm den Zug nach New York, wo er einige mittelgroße Diamanten verkaufte und etwa zweihunderttausend Golddollar erlöste. Er wagte es jedoch nicht, irgendwelche wirklich außergewöhnlichen Steine anzubieten, ja es gelang ihm, New York gerade noch rechtzeitig wieder zu verlassen. Die Juweliere waren in heller Aufregung, nicht so sehr über die Größe der Diamanten als vielmehr über die Tatsache, dass ihre Herkunft so geheimnisumwittert war. Es gingen wilde Gerüchte um: Die neue Diamantenmine befinde sich in den Catskills, an der Küste von New Jersey, auf Long Island, unter dem Washington Square. Mit Spitzhacken und Schaufeln ausgerüstete Männer verließen in stündlich verkehrenden vollbesetzten Sonderzügen die Stadt, unterwegs zu dem erhofften nahe gelegenen El Dorado. Fitz-Norman war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf dem Weg nach Montana.
Zwei Wochen später hatte er festgestellt, dass der Diamant unter dem Berg etwa so groß war wie alle bislang geschürften Diamanten der Welt zusammengenommen. Sein Wert ließ sich nicht regulär berechnen, denn es handelte sich um einen einzigen Stein. Sollte er zum Kauf angeboten werden, würde nicht nur der Marktpreis für Diamanten ins Bodenlose fallen – nein, sofern der Wert in der üblichen Weise mit der Größe stieg, würde alles Gold der Welt nicht ausreichen, um auch nur ein Zehntel davon zu bezahlen. Und was sollte jemand mit einem Diamanten von dieser Größe anfangen?
Er befand sich in einer verblüffenden Lage. In gewisser Weise war er der reichste Mann, den die Welt je gesehen hatte, und doch: Besaß er überhaupt etwas? Wer konnte wissen, welche Schritte die Regierung unternehmen würde, um eine Panik auf dem Gold- und Edelsteinmarkt zu verhindern, wenn das Geheimnis ans Tageslicht kam? Womöglich würde sie sogleich Anspruch auf den Stein erheben und ein Monopol einführen.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Berg geheim zu halten. Er schickte nach seinem jüngeren Bruder und übertrug ihm die Aufsicht über seine farbige Gefolgschaft – Schwarze, denen gar nicht zu Bewusstsein gekommen war, dass man die Sklaverei abgeschafft hatte. Damit es auch so
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