Winterträume
er in einem Telefonbuch blätterte; dann lauschte sie, als er eine Nummer wählte.
»Hallo, ist Mr. Lacy zu sprechen? Wieso – ja, es ist wirklich wichtig, das heißt, wenn er nicht schon im Bett ist.«
Schweigen. Jacqueline hörte die unruhigen Sperlinge im Laub der Magnolie auf der anderen Straßenseite tschilpen, dann sprach ihr Mann ins Telefon: »Spreche ich mit Mr. Lacy? Oh, hier spricht Mather. Also – also wegen der Sache von heute Nachmittag – ich denke, dass ich es doch einrichten kann.« Er sprach etwas lauter, als fiele es jemandem am anderen Ende der Leitung schwer, ihn zu hören. »James Mathers Sohn, sagte ich – wegen der Sache von heute Nachmittag –«
Gretchens Nickerchen
I
Die Gehwege waren mit welken Blättern gesprenkelt, und dem kleinen Schlingel von nebenan gefror die Zunge am eisernen Briefkasten. Es würde noch vor dem Dunkelwerden schneien, das war sicher. Der Herbst war vorbei. Damit tauchte freilich das Problem mit der Kohle und mit Weihnachten auf; aber Roger Halsey, der auf der Veranda seines Hauses stand, versicherte dem verhangenen Vorstadthimmel, dass er keine Zeit habe, sich um das Wetter zu kümmern. Dann ging er eiligst ins Haus und verbannte das Thema nach draußen, in die kalte Dämmerung.
Im Flur war es dunkel, aber von oben hörte er die Stimmen seiner Frau, des Kindermädchens und des Kleinen in einer ihrer endlosen Unterhaltungen, die hauptsächlich aus Ausrufen wie »Lass das!« und »Pass auf, Maxy!« und »Oh, da geht er!« bestanden, unterbrochen von heftigen Mahnungen, undeutlichen Plumpsern und dem immer wiederkehrenden Laut kleiner tappender Füße.
Roger machte das Licht im Flur an, ging ins Wohnzimmer und knipste die Lampe mit dem roten Seidenschirm an. Er legte seine pralle Aktentasche auf den Tisch, setzte sich hin und ließ sein angespanntes junges Gesicht für ein paar Minuten in der Hand ruhen, wobei er seine Augen sorgsam gegen das Licht abschirmte. Dann zündete er sich eine Zigarette an, drückte sie wieder aus, ging an den Fuß der Treppe und rief nach seiner Frau.
»Gretchen!«
»Hallo, Liebling.« Ihre Stimme war voller Fröhlichkeit. »Komm und schau dir den Kleinen an.«
Er fluchte leise.
»Ich kann mir den Kleinen jetzt nicht ansehen«, sagte er laut. »Dauert’s noch lange, bis du runterkommst?«
Es gab eine mysteriöse Pause, und dann folgten rasch einige »Tu’s nicht!« und »Pass auf, Maxy!«, die offenbar eine drohende Katastrophe abwenden sollten.
»Dauert’s noch lange, bis du runterkommst?«, wiederholte Roger leicht ungehalten.
»Oh, ich bin gleich unten.«
»Wann gleich?«, brüllte er.
Jeden Tag um diese Zeit hatte er Mühe, seine Stimme von der hektischen Tonart der City auf die einem Musterhaushalt angemessene Beiläufigkeit umzustellen. Doch heute Abend war er mit Absicht ungeduldig. Es enttäuschte ihn fast, als Gretchen, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe heruntergerannt kam und recht überrascht »Was gibt’s denn?« rief.
Sie küssten sich und verharrten so ein paar Augenblicke. Sie waren schon drei Jahre verheiratet und liebten einander mehr, als diese Zeitspanne vermuten lässt. Es kam selten vor, dass sie sich mit jenem leidenschaftlichen Hass quälten, dessen nur junge Ehepaare fähig sind, denn Roger war immer noch lebhaft empfänglich für ihre Schönheit.
»Komm her«, sagte er hastig. »Ich muss mit dir reden.«
Seine Frau, von hellem Teint und tizianrotem Haar, so farbenfroh wie eine französische Flickenpuppe, folgte ihm ins Wohnzimmer.
»Hör zu, Gretchen« – er setzte sich ans eine Ende des Sofas –, »von heute Abend an werde ich … Was ist?«
»Nichts. Ich hole mir nur eine Zigarette. Sprich weiter.«
Sie huschte atemlos zum Sofa zurück und ließ sich am anderen Ende nieder.
»Gretchen –« Wieder unterbrach er sich. Ihre Hand, Handteller nach oben, war gegen ihn ausgestreckt. »Nun, was ist?«, fragte er ärgerlich.
»Zündhölzer.«
»Was?«
In seiner Gereiztheit kam es ihm unglaublich vor, dass sie um Zündhölzer bat, aber er wühlte automatisch in seiner Tasche.
»Danke dir«, wisperte sie. »Ich wollte dich nicht unterbrechen. Sprich weiter.«
»Gretchen –«
Ratsch! Das Zündholz flammte auf. Sie wechselten einen spannungsgeladenen Blick.
Jetzt baten ihre Rehaugen stumm um Verzeihung, und er musste lachen. Schließlich hatte sie nichts Schlimmeres getan, als sich eine Zigarette angezündet; aber wenn er so missgelaunt war, brachte ihn die
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