Winterträume
kleinste selbständige Aktion von ihr in unmäßigen Zorn.
»Wenn du Zeit hast zuzuhören«, sagte er grob, »interessiert es dich vielleicht, die Sache mit dem Armenhaus mit mir zu besprechen.«
»Was für ein Armenhaus?« Ihre Augen weiteten sich erschrocken; sie saß mäuschenstill.
»Das war nur, um deine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aber mit dem heutigen Abend beginnen die wahrscheinlich wichtigsten sechs Wochen meines Lebens – die sechs Wochen, in denen es sich entscheidet, ob wir dauerhaft in diesem elenden alten Häuschen und in diesem elenden Vorstadtnest leben werden.«
Langeweile löste nun das Erschrecken in Gretchens schwarzen Augen ab. Sie stammte aus dem Süden, und jede Frage, die mit dem Vorwärtskommen in der Welt zu tun hatte, war dazu angetan, ihr Kopfweh zu bereiten.
»Vor sechs Monaten bin ich bei der New York Lithographic Company ausgeschieden und habe mich im Werbegeschäft selbständig gemacht«, verkündete Roger.
»Ich weiß«, unterbrach Gretchen vorwurfsvoll, »und statt sechshundert im Monat sicher zu haben, müssen wir jetzt mit unsicheren fünfhundert auskommen.«
»Gretchen«, sagte Roger bitter, »wenn du nur noch für weitere sechs Wochen so fest du kannst an mich glaubst, werden wir reich sein. Ich habe jetzt eine Chance, einige der dicksten Aufträge an Land zu ziehen.« Er zögerte. »Und in diesen sechs Wochen werden wir überhaupt nicht ausgehen und werden niemanden zu uns einladen. Ich werde jeden Abend Arbeit mit nach Hause bringen, und wir lassen alle Jalousien herunter, und wenn jemand an der Tür klingelt, machen wir nicht auf.«
Er lächelte übermütig, als wäre das ein neues Spiel, das sie spielen wollten. Dann, als Gretchen schwieg, schwand sein Lächeln, und er blickte sie unsicher an.
»Also was ist?«, platzte sie schließlich los. »Erwartest du, dass ich jubelnd aufspringe? Du arbeitest schon jetzt mehr als genug. Wenn du dich noch weiter verausgabst, wirst du mit einem Nervenzusammenbruch enden. Ich habe da etwas gelesen von einem –«
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen«, unterbrach er sie. »Ich bin ganz in Ordnung. Aber du wirst dich zu Tode langweilen, wenn du jeden Abend hier sitzen musst.«
»Nein, gar nicht«, sagte sie ohne rechte Überzeugung, »nur heute Abend.«
»Wieso heute Abend?«
»George Tompkins hat uns zum Essen eingeladen.«
»Und du hast zugesagt?«
»Natürlich«, sagte sie ungeduldig. »Warum nicht? Du redest immer davon, in was für einer grässlichen Nachbarschaft wir hier leben, und ich dachte, du würdest vielleicht zur Abwechslung gerne mal in einer netteren Umgebung sein.«
»Wenn ich mir eine nettere Umgebung suchen will, dann für immer«, sagte er grimmig.
»Nun, gehen wir also hin?«
»Das müssen wir wohl, da du ja zugesagt hast.«
Zu seinem vagen Missbehagen kam das Gespräch jäh zu einem Ende. Gretchen sprang auf, gab ihm einen flüchtigen Kuss und eilte in die Küche, um den Boiler für ein warmes Bad einzuschalten. Mit einem Seufzer verstaute er sorgfältig seine Mappe hinter dem Bücherbord – sie enthielt nur Skizzen und Entwürfe für eine Schaufensterreklame, aber sie schien ihm das Erste, wonach ein Einbrecher suchen würde. Dann ging er geistesabwesend nach oben, schaute kurz auf einen feuchten Gutenachtkuss ins Kinderzimmer hinein und begann sich für das Abendessen umzukleiden.
Sie besaßen kein Auto, und so kam George Tompkins sie um halb sieben abholen. Tompkins war ein erfolgreicher Innenarchitekt, ein stämmiger, rosiger Mann, der ein hübsches Schnurrbärtchen trug und immer stark nach Jasmin duftete. Er und Roger hatten einmal als Zimmernachbarn in einer New Yorker Pension gewohnt, sich aber in den letzten fünf Jahren nur gelegentlich getroffen.
»Wir sollten uns öfter sehen«, sagte er an diesem Abend zu Roger. »Du solltest mehr ausgehen, alter Junge. Cocktail?«
»Nein, danke.«
»Nein? Aber deine reizende Frau nimmt doch einen – nicht wahr, Gretchen?«
»Ich finde dieses Haus herrlich«, rief sie, indem sie das Glas nahm und einen bewundernden Blick über Schiffsmodelle, Whiskeyflaschen im Kolonialstil und andere modische Nippsachen von 1925 schweifen ließ.
»Ich mag es auch«, sagte Tompkins mit Genugtuung. »Ich wollte mir damit etwas Gutes tun, und das ist mir gelungen.«
Roger blickte missmutig in dem ungemütlichen, kahlen Raum umher und fragte sich, ob sie wohl irrtümlich in die Küche geraten sein könnten.
»Du siehst verdammt schlecht aus, Roger«, sagte sein
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