Winterträume
Gastgeber. »Nimm einen Drink und entspann dich.«
»Ja, tu das«, drängte Gretchen.
»Was?« Roger wandte sich zerstreut um. »O nein, vielen Dank. Ich habe noch zu arbeiten, wenn ich nach Hause komme.«
»Arbeiten!« Tompkins lächelte. »Hör zu, Roger, du wirst dich mit deiner Arbeit noch umbringen. Warum schaffst du dir nicht einen kleinen Ausgleich in deinem Leben – ein bisschen arbeiten, dann ein bisschen Nichtstun?«
»Das rate ich ihm schon immer«, sagte Gretchen.
»Wisst ihr, wie der Tag eines typischen Geschäftsmannes aussieht?«, fragte Tompkins, während sie ins Speisezimmer hinübergingen. »Kaffee am Morgen, dann acht Stunden Arbeit mit nur einem hastigen Lunch dazwischen und schließlich wieder zu Hause mit Verdauungsstörungen und zu schlecht gelaunt, um der eigenen Frau einen netten Abend zu bereiten.«
Roger lachte kurz auf.
»Du gehst zu viel ins Kino«, sagte er trocken.
»Was?« Tompkins blickte ihn leicht verärgert an. »Kino? Ich bin kaum je in meinem Leben im Kino gewesen. Ich finde Filme fürchterlich. Meine Lebensansichten habe ich mir selbst gebildet. Ich glaube einfach an ein ausgewogenes Leben.«
»Was soll das sein?«, fragte Roger.
»Nun«, er zögerte, »vielleicht erkläre ich es euch am besten, indem ich euch meinen Tagesablauf beschreibe. Oder wäre das allzu selbstgefällig?«
»O nein!« Gretchen sah ihn voller Interesse an. »Ich würde gern etwas darüber hören.«
»Nun, am Morgen stehe ich auf und absolviere eine Reihe von Übungen. Ich habe mir einen der Räume wie einen kleinen Turnsaal eingerichtet, und dort arbeite ich am Punchingball, mache Schattenboxen und hebe Gewichte, eine Stunde lang. Danach ein kaltes Bad – ja, das ist so ein Punkt. Nimmst du täglich ein kaltes Bad?«
»Nein«, gab Roger zu, »ich nehme drei- oder viermal in der Woche ein heißes Bad am Abend.«
Entsetztes Schweigen breitete sich aus. Tompkins und Gretchen tauschten einen Blick, als hätte jemand etwas Unanständiges gesagt.
»Was ist los?«, fuhr Roger auf und blickte verärgert von ihm zu ihr. »Ihr wisst, dass ich nicht täglich bade – ich habe dazu keine Zeit.«
Tompkins gab einen langgezogenen Seufzer von sich. »Nach meinem Bad«, fuhr er fort, indem er gnädig einen Schleier des Schweigens über die Sache breitete, »frühstücke ich und fahre in mein Büro in New York, wo ich bis vier arbeite. Dann mache ich Schluss, und wenn es Sommer ist, fahre ich gleich hierher auf den Golfplatz zu einer Partie über neun Loch, und wenn es Winter ist, spiele ich eine Stunde Squash in meinem Club. Danach bis zum Dinner eine flotte Bridgepartie. Das Dinner hat meistens irgendetwas mit dem Geschäft zu tun, aber nur im angenehmen Sinne. Nehmen wir an, ich habe gerade ein Haus für einen Kunden fertig eingerichtet, und er wünscht, dass ich bei seiner ersten Party zugegen bin, um zu sehen, ob die Beleuchtung auch weich genug ist, und dergleichen mehr. Oder aber ich setze mich mit einem guten Gedichtband hin und verbringe den Abend allein. Auf alle Fälle tue ich jeden Abend etwas, um mich zu zerstreuen.«
»Das muss wunderbar sein«, sagte Gretchen begeistert. »Ich wünschte, wir lebten auch so.«
Tompkins beugte sich ernst über den Tisch.
»Das könnt ihr«, sagte er gewichtig. »Warum solltet ihr auch nicht? Hört zu – wenn Roger täglich neun Loch Golf spielte, würde das Wunder wirken. Er würde sich nicht wiedererkennen. Seine Arbeit würde ihm leichter fallen, er würde nicht so erschöpft sein und mit den Nerven herunter – aber was ist denn?«
Er brach ab. Roger hatte unverhohlen gegähnt.
»Roger«, rief Gretchen scharf, »es gibt keinen Grund, so unhöflich zu sein. Es wäre wesentlich besser für dich, wenn du tätest, was George sagt.« Sie wandte sich entrüstet an ihren Gastgeber. »Das Neuste ist, dass er die nächsten sechs Wochen auch abends arbeiten will. Er sagt, er will die Jalousien herunterlassen und uns wie Einsiedler in einer Höhle einschließen. Das letzte Jahr hat er das schon jeden Sonntag gemacht; jetzt will er es sechs Wochen lang jeden Abend tun.«
Tompkins schüttelte bekümmert den Kopf.
»Am Ende dieser sechs Wochen«, bemerkte er, »wird er reif fürs Sanatorium sein. Ich kann euch sagen, dass jedes Privatkrankenhaus in New York voll von solchen Fällen ist. Da braucht man nur das menschliche Nervensystem ein bisschen überzustrapazieren, und – peng! – schon hat man etwas kaputtgemacht. Und während man sechzig Stunden für die
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