Winterträume
für ihre schändliche Vergangenheit genug gebüßt. Sie hatte ein Jahr beim Roten Kreuz gedient und war angeblich mit einem jungen amerikanischen Fliegerass von Rang und Charme verlobt. Mehr konnte man nicht verlangen; von Dianas früheren Sünden blieb nur ihr Spitzname übrig…
Diamond Dick! Unter allen Namen der Welt hatte sie sich diesen ausgewählt, als sie ein dünnes, schwarzäugiges Kind von zehn Jahren war.
»Diamond Dick«, sagte sie hartnäckig, »so heiße ich. Und wer mich nicht so nennen will, ist ein dreimal vermaledeiter Dummkopf.«
»Das ist doch kein schöner Name für eine Dame«, wandte ihre Gouvernante ein. »Wenn du einen Jungennamen haben möchtest, warum nennst du dich dann nicht George Washington?«
»Weil ich eben Diamond Dick heiße«, erklärte Diana ihr geduldig. »Verstehst du das nicht? Ich muss so genannt werden, sonst kriege ich nämlich einen Wutanfall und der ganze Familienfrieden ist dahin.«
Am Ende kriegte sie sowohl einen Wutanfall – und zwar einen schönen Koller, der einen missgelaunten Nervenspezialisten aus New York auf den Plan rief – als auch ihren Spitznamen. Und einmal im Besitz desselben, machte sie sich daran, den Gesichtsausdruck jenes Schlachterjungen nachzuahmen, der an Greenwichs Hintereingängen Fleisch anlieferte. Sie reckte den Unterkiefer vor und öffnete auf einer Seite die Lippen, so dass Partien ihrer Milchzähne zum Vorschein kamen – und aus diesem alarmierenden Spalt drang die rauhe Stimme einer ausgebufften Verbrecherin.
»Miss Caruthers«, höhnte sie zum Beispiel schneidig, »was soll das heißen – keine Marmelade? Willst du eins auf die Rübe?«
»Diana! Ich werde auf der Stelle deine Mutter rufen!«
»Pass bloß auf!«, drohte Diana finster. »Wenn du sie rufst, kriegst du vielleicht sogar ’ne Kugel in die Rübe!«
Miss Caruthers hob mit einigem Unbehagen die Hand an die Ponyfrisur. Sie war irgendwie eingeschüchtert.
»Na schön«, sagte sie unsicher, »wenn du dich wie ein kleiner Gassenjunge aufführen willst…«
Ja, das wollte Diana. Die Manöver, die sie tagtäglich auf dem Gehweg übte und die ihre Nachbarn für eine neue Version von Himmel und Hölle hielten, waren in Wirklichkeit die Vorarbeiten für einen schwankenden Apachengang. Als sie damit zufrieden war, schlurfte Diana mit heftig verzerrtem Gesicht, unter dem Schlapphut ihres Vaters nur halb zu erkennen, durch die Straßen von Greenwich, und ihr Oberkörper, von den Schultern hin und her geworfen, schwankte von der einen zur anderen Seite, bis einem, wenn man ihr länger dabei zusah, ein leichter Schwindel in den Kopf stieg.
Zuerst war es nur einigermaßen skurril, doch als Dianas Sprache von merkwürdig verdrehten Redensarten, die sie für den Dialekt der Unterwelt hielt, nur so strotzte, wurde es beunruhigend. Und ein paar Jahre später machte sie alles noch komplizierter, indem sie sich zu einer Schönheit entwickelte – einer dunklen kleinen Schönheit mit tragischem Blick und einer volltönenden, in der Kehle rollenden Stimme.
Dann trat Amerika in den Krieg ein, und Diana schiffte sich an ihrem achtzehnten Geburtstag mit der Feldkücheneinheit nach Frankreich ein.
Die Vergangenheit war vorbei; alles war vergessen. Kurz bevor der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, erhielt sie eine lobende Erwähnung dafür, in der Hitze des Gefechts einen kühlen Kopf bewahrt zu haben. Außerdem – und dies war der Teil, der vor allem ihrer Mutter gefiel – ging das Gerücht, sie sei mit Mr. Charley Abbot aus Boston und Bar Harbor verlobt, »einem jungen Heeresflieger von Rang und Charme«.
Doch Mrs. Dickey war kaum auf die veränderte Diana vorbereitet, die in New York landete. Als sie in der Limousine nach Greenwich saßen, wandte sie sich mit erstauntem Blick ihrer Tochter zu.
»Ach, alle sind ja so stolz auf dich, Diana«, rief sie aus. »Das Haus quillt förmlich über vor Blumen. Was du alles schon gesehen und gemacht hast – mit neunzehn !«
Dianas Gesicht war unter einem unvergleichlichen safrangelben Hut starr auf die Fifth Avenue gerichtet, die für die heimkehrenden Divisionen mit Fahnen geschmückt war.
»Der Krieg ist vorbei«, sagte sie mit einer seltsamen Stimme, so als sei es ihr erst in dieser Minute klargeworden.
»Ja«, antwortete ihre Mutter gutgelaunt, »und wir haben gewonnen. Ich habe es die ganze Zeit über gewusst.«
Sie überlegte, wie sie das Gespräch am besten auf Mr. Abbot bringen konnte.
»Du bist ruhiger geworden«, begann
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