Winterträume
den wir gehabt hatten, als wir uns kurz vor meinem Unfall verabschiedeten. Aber ich war immer noch ziemlich schwach, und das Ganze schien mir keinen Sinn zu ergeben, wenn da nicht ein anderer Mann im Spiel war. Sie sagte, wir brauchten beide unsere Freiheit, und dann sah sie mich an, als erwarte sie eine Erklärung oder Entschuldigung von mir – aber mir war überhaupt nicht klar, was ich getan hatte. Ich weiß noch, dass ich mich im Bett zurücklehnte und mir wünschte, auf der Stelle zu sterben. Zwei Monate später hörte ich, sie habe sich nach Hause eingeschifft.«
Elaine beugte sich mit bangem Blick über den Tisch.
»Fahr nicht zur ihr aufs Land, Charley«, sagte sie. »Bitte fahr nicht. Sie will dich zurück – das sehe ich doch. Ich brauche sie bloß anzuschauen.«
Er schüttelte den Kopf und lachte.
»Doch«, sagte Elaine. »Ich sehe es. Ich hasse sie. Sie hat dich einmal gehabt, und jetzt will sie dich zurück. Ich sehe es in ihren Augen. Ich wünschte, du würdest bei mir in New York bleiben.«
»Nein«, sagte er dickköpfig. »Ich will sehen, was mit ihr los ist. Diamond Dick ist eine alte Flamme von mir.«
Am späten Nachmittag stand Diana, in goldenes Licht getaucht, auf dem Bahnsteig. Angesichts ihrer makellosen Frische fühlte sich Charley Abbot zerlumpt und alt. Er war erst neunundzwanzig, doch vier wilde Jahre hatten viele kleine Falten um seine dunklen, hübschen Augen hinterlassen. Selbst sein Gang war müde – kein Muster mehr an Haltung und Eleganz, nur eine Methode, um irgendwo hinzukommen, wenn es kein anderes Fortbewegungsmittel gab, mehr nicht.
»Charley«, rief Diana, »wo ist dein Gepäck?«
»Ich komme nur zum Abendessen – ich kann unmöglich über Nacht bleiben.«
Er war nüchtern, wie sie bemerkte, sah jedoch aus, als ob er dringend einen Drink gebrauchen könnte. Sie nahm ihn am Arm und führte ihn zu einem Coupé mit roten Rädern, das am Straßenrand parkte.
»Steig ein und setz dich«, befahl sie. »Du gehst ja, als würdest du gleich umfallen.«
»Habe mich noch nie im Leben besser gefühlt.«
Sie lachte spöttisch.
»Warum musst du heute Nacht noch zurück?«, wollte sie wissen.
»Ich hab’s versprochen – immerhin hatte ich eine Verabredung…«
»Ach, lass sie warten!«, rief Diana ungeduldig aus. »Sie sah nicht aus, als hätte sie viel anderes zu tun. Wer ist sie überhaupt?«
»Ich wüsste nicht, wieso dich das interessieren sollte, Diamond Dick.«
Sie errötete, als sie den vertrauten Namen hörte.
»Alles, was dich betrifft, interessiert mich. Wer ist das Mädchen?«
»Elaine Russel. Sie ist beim Film – gewissermaßen.«
»Sie sah schwammig aus«, sagte Diana bedächtig. »Ich muss dauernd an sie denken. Du siehst auch schwammig aus. Was treibst du so – wartest du auf den nächsten Krieg?«
Sie bogen in die Auffahrt eines großen, weitläufigen Hauses am Sund ein. Auf dem Rasen wurden gerade Segeltuchbahnen als Tanzfläche ausgebreitet.
»Schau mal!« Sie zeigte auf eine Gestalt in Knickerbockern auf einer Seitenveranda. »Das ist mein Bruder Breck. Du hast ihn nie kennengelernt. Er ist für die Osterferien aus New Haven gekommen und gibt heute ein Tanzfest.«
Ein gutaussehender junger Mann von vielleicht achtzehn Jahren kam die Verandastufen herunter und steuerte auf sie zu.
»Er hält dich für den großartigsten Mann der Welt«, flüsterte Diana. »Tu so, als wärst du fabelhaft.«
Befangen stellte man einander vor.
»In letzter Zeit mal wieder geflogen?«, fragte Breck sofort.
»Seit ein paar Jahren nicht mehr«, gab Charley zu.
»Ich war zu jung für den Krieg«, sagte Breck bedauernd, »aber diesen Sommer will ich versuchen, den Pilotenschein zu machen. Ist doch das einzig Wahre, oder – das Fliegen, meine ich.«
»Nun, kann schon sein«, sagte Charley ein wenig erstaunt. »Ich habe gehört, Sie geben heute ein Tanzfest.«
Breck winkte lässig ab.
»Ach, bloß einige Leute aus der Umgebung. So etwas langweilt Sie bestimmt zu Tode – nach allem, was Sie schon erlebt haben.«
Charley schaute hilfesuchend zu Diana.
»Kommt«, sagte sie lachend, »gehen wir rein.«
Mrs. Dickey kam ihnen in der Halle entgegen und unterwarf Charley einer höflichen, wenn auch ein wenig atemlosen Begutachtung. Die ganze Familie schien ihm mit ungewöhnlichem Respekt zu begegnen, und die Gespräche steuerten unverzüglich auf das Thema ›Krieg‹ zu.
»Und was machen Sie jetzt?«, fragte Mr. Dickey. »Treten Sie in das Unternehmen Ihres
Weitere Kostenlose Bücher