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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Mal im Restaurant Mont Mihiel, wo er mit einer drallen, unscheinbaren Blondine aus der Halbwelt am Katzentisch saß. Sie entschuldigte sich ungeniert bei ihrem Begleiter und ging auf Charley zu. Er blickte auf, als sie näher kam, und sie verspürte eine plötzliche Schwäche, denn er war nur noch ein Schatten, und seine Augen, groß und dunkel wie die ihren, brannten inmitten roter Feuerringe.
    »Charley…«
    Er stand schwankend auf, und sie schüttelten sich benommen die Hand. Murmelnd stellte er die Frauen einander vor, doch seine Tischgenossin machte kein Hehl daraus, dass ihr diese Begegnung missfiel, und starrte Diana aus kalten blauen Augen an.
    »Charley…«, sagte Diana erneut, »du bist also wieder da.«
    »Ich werde bleiben.«
    »Ich möchte dich sprechen, Charley. Ich – ich möchte dich so bald wie möglich sprechen. Kannst du morgen aufs Land kommen?«
    »Morgen?« Er warf dem blonden Mädchen einen entschuldigenden Blick zu. »Da bin ich verabredet. Morgen ist wohl schlecht. Vielleicht später diese Woche…«
    »Sag deine Verabredung ab.«
    Seine Begleiterin hatte während dieses Austauschs mit den Fingern auf das Tischtuch getrommelt und nervös im Raum umhergeschaut. Bei dieser Bemerkung drehte sie sich abrupt wieder zum Tisch um.
    »Charley«, stieß sie mit bedeutungsvoll gerunzelter Stirn hervor.
    »Ja, ich weiß«, sagte er lächelnd zu ihr und wandte sich Diana zu. »Morgen kann ich nicht. Ich bin verabredet.«
    »Ich muss dich aber unter allen Umständen morgen sprechen«, fuhr Diana unnachgiebig fort. »Hör auf, mich so dümmlich anzugucken, und sag schon, dass du morgen nach Greenwich kommst.«
    »Was fällt Ihnen ein?«, rief das andere Mädchen mit leicht erhobener Stimme. »Warum bleiben Sie nicht an Ihrem Tisch? Sie müssen ja betrunken sein!«
    »Bitte, Elaine!«, sagte Charley vorwurfsvoll.
    »Ich warte an dem Zug, der um sechs in Greenwich ankommt«, fuhr Diana ungerührt fort. »Wenn du diese – diese Frau nicht loswirst« – sie deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung auf seine Begleiterin –, »dann schick sie eben ins Kino.«
    Mit einem Aufschrei sprang das andere Mädchen auf, und einen Moment lang drohte die Situation zu eskalieren. Aber Diana nickte Charley zu, wandte sich ab, gab ihrem Begleiter auf der anderen Seite des Raums ein Zeichen und verließ das Café.
    »Ich mag diese Frau nicht«, rief Elaine in quengeligem Ton, sobald Diana außer Hörweite war. »Wer ist das überhaupt? Eine alte Flamme von dir?«
    »Ja, genau«, antwortete er und runzelte die Stirn. »Eine alte Flamme von mir. Eigentlich meine einzige alte Flamme.«
    »Du kennst sie also schon dein Leben lang.«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin, hat sie in einer Feldküche gearbeitet, im Krieg.«
    »Die?« Elaine hob erstaunt die Brauen. »So sieht sie aber gar nicht –«
    »Sie ist ja inzwischen auch nicht mehr neunzehn – sondern fast fünfundzwanzig.« Er lachte. »Ich habe sie eines Tages in einem Munitionslager nahe Soisson auf einer Kiste sitzen sehen, von so vielen Offizieren umringt, dass man ein Regiment daraus hätte zusammenstellen können. Drei Wochen später waren wir verlobt!«
    »Und dann?«, fragte Elaine scharf.
    »Das Übliche«, antwortete er mit leicht bitterem Unterton. »Sie hat mir einen Korb gegeben. Das einzig Unübliche war, dass ich nie erfahren habe, warum. Habe mich eines Tages von ihr verabschiedet und mich zu meinem Geschwader begeben. Bei der Gelegenheit muss ich irgendwas gesagt oder getan haben, das die ganze Misere verursacht hat. Werd’s wohl nie erfahren. Ehrlich gesagt erinnere ich mich kaum noch daran, denn ein paar Stunden später bin ich abgestürzt, und von allem, was kurz davor passiert ist, habe ich nur eine verdammt verschwommene Vorstellung. Sobald es mir wieder gut genug ging, um mich für irgendwas zu interessieren, habe ich gemerkt, dass sich die Situation verändert hatte. Dachte zuerst, es müsse da wohl einen anderen Mann geben.«
    »Hat sie die Verlobung gelöst?«
    »Allerdings. Während ich mich erholte, saß sie oft stundenlang an meinem Bett und sah mich mit dem sonderbarsten Gesichtsausdruck an. Schließlich bat ich um einen Spiegel – ich dachte, ich müsse wohl völlig zerschnitten sein oder so etwas. Aber nichts dergleichen. Dann fing sie eines Tages an zu weinen. Sie sagte, sie habe nachgedacht, und vielleicht sei es ein Fehler, und all solche Sachen. Schien auf einen Streit anzuspielen,

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