Winterträume
sie scharf. »Ich bin in Eile.«
Er verbeugte sich. Diana war etliche Male mit etlichen Männern hier gewesen. Sie hatte ihn noch nie zuvor um einen Gefallen gebeten.
Er ließ den Blick hastig durch das Restaurant schweifen.
»Setzen Sie sich doch«, sagte er.
»Nicht nötig. Beeilen Sie sich.«
Er ging quer durch den Raum und sprach flüsternd mit einem Mann an einem der Tische – eine Minute später war er wieder bei ihr und nannte ihr die Adresse, eine Wohnung an der Forty-ninth Street.
Als sie wieder im Wagen saß, schaute sie auf ihre Armbanduhr – es war fast Mitternacht, genau die richtige Zeit. Ein Gefühl von Romantik ergriff sie, von Lust am verzweifelten, gefährlichen Abenteuer, das den elektrischen Reklametafeln und den vorbeirasenden Taxis und den Sternen hoch am Himmel zu entströmen schien. Vielleicht war sie nur einer von hundert Menschen, die heute Nacht ein solches Abenteuer vor sich hatten – doch sie hatte seit dem Krieg nichts Vergleichbares mehr erlebt.
Als sie in die East Forty-ninth Street eingebogen waren, suchte sie auf beiden Seiten die Häuser ab. Da war es – The Elkson –, ein breiter Schlund aus abweisend gelbem Licht. In der Eingangshalle fragte sie ein schwarzer Liftboy nach ihrem Namen.
»Sagen Sie ihr, ein Mädchen mit einem Paket von der Filmgesellschaft sei da.«
Geräuschvoll betätigte er einen Schalter.
»Miss Russel? Hier ist eine Dame, die sagt, sie hat ein Paket von der Filmgesellschaft für Sie.«
Eine Pause.
»Das hat sie gesagt… In Ordnung.« Er wandte sich Diana zu. »Sie erwartet zwar kein Paket, aber Sie können es raufbringen.« Er sah sie an und runzelte auf einmal die Stirn. »Aber Sie haben ja gar keins.«
Ohne zu antworten, ging sie zum Fahrstuhl, und er folgte ihr und schob mit zermürbender Langsamkeit das Gitter zu… »Erste Tür rechts.«
Sie wartete, bis der Fahrstuhl wieder auf dem Weg nach unten war. Dann klopfte sie, und ihre Finger schlossen sich fester um die Pistole in der Tasche ihres Blazers.
Schnelle Schritte, ein Lachen; die Tür schwang auf, und Diana trat rasch ein.
Es war eine kleine Wohnung, Schlafzimmer, Badezimmer und Kochnische, pink und weiß möbliert; der Zigarettenqualm der letzten Woche hing in der Luft. Elaine Russel selbst hatte die Tür geöffnet. Sie war zum Ausgehen gekleidet und trug ein grünes Abendcape über dem Arm. Charley Abbot, der an einem Highball nippte, hatte es sich in dem einzigen Polstersessel gemütlich gemacht.
»Was soll das?«, rief Elaine schnell.
Mit einer heftigen Bewegung knallte Diana die Tür hinter sich zu, und Elaine wich mit offenem Mund zurück.
»Guten Abend«, sagte Diana kalt. Plötzlich schoss ihr ein Satz aus einem lang vergessenen Groschenroman durch den Sinn. »Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Was wollen Sie?«, herrschte Elaine sie an. »Sie haben die Stirn, hier einfach so hereinzuplatzen!«
Charley, der noch kein Wort gesagt hatte, stellte jetzt sein Glas schwerfällig auf der Armlehne des Sessels ab. Die beiden Frauen starrten einander an.
»Entschuldigen Sie«, sagte Diana langsam, »aber ich glaube, Sie haben meinen Mann.«
»Und Sie wollen eine Dame sein!«, rief Elaine mit wachsendem Zorn. »Verschaffen sich hier gewaltsam Zutritt – was erlauben Sie sich!«
»Ich erlaube mir, Klartext zu reden. Ich bin gekommen, um Charley Abbot abzuholen.«
Elaine keuchte.
»Aber Sie müssen ja verrückt sein!«
»Im Gegenteil, ich war noch nie im Leben bei so klarem Verstand. Ich bin gekommen, um mir etwas zu holen, was mir gehört.«
Charley rief etwas aus, doch beide Frauen brachten ihn gleichzeitig mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Na schön«, rief Elaine, »dann klären wir das jetzt sofort.«
»Ich kläre das ganz allein«, sagte Diana scharf. »Es gibt keine Diskussion. Unter anderen Umständen würde ich vielleicht eine Spur Mitleid für Sie empfinden – in diesem Fall sind Sie mir einfach nur im Weg. Was ist da zwischen euch beiden? Hat er Ihnen die Ehe versprochen?«
»Das geht Sie nichts an!«
»Sie sollten besser antworten«, warnte Diana.
»Das werde ich nicht tun.«
Diana trat plötzlich einen Schritt vor, holte aus und schlug Elaine mit der ganzen Kraft ihres schlanken, muskulösen Arms klatschend die flache Hand ins Gesicht.
Elaine stolperte rückwärts gegen die Wand. Charley stieß einen Schrei aus und sprang hinzu, worauf er in die Mündung einer Vierundvierziger blickte, die von einer kleinen, entschlossenen Hand gehalten
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