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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Mensch, siehst du das nicht? Ich hätte in diesem Augenblick lieber einen Drink als alles Mondlicht der Welt. Ich glaube nicht mal, dass ich ein Mädchen wie dich heute noch lieben könnte.«
    Sie nickte.
    »Ich verstehe.«
    »Warum wolltest du mich vor fünf Jahren nicht heiraten, Diamond Dick?«
    »Ich weiß es auch nicht«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Es war die falsche Entscheidung.«
    »Die falsche Entscheidung!«, rief er bitter. »Du redest, als wäre es reine Glückssache gewesen, so wie man auf Weiß oder Rot setzt!«
    »Nein, es war keine reine Glückssache.«
    Eine Minute lang blieb es still – dann wandte sie sich ihm mit schimmernden Augen zu.
    »Willst du mich nicht küssen, Charley?«, fragte sie schlicht.
    Er schrak hoch.
    »Wäre das so schwer?«, fuhr sie fort. »Ich habe noch nie einen Mann gefragt, ob er mich küssen will.«
    Mit einem Ausruf sprang er von der Mauer.
    »Ich fahre jetzt zurück in die Stadt«, sagte er.
    »Ist denn – ist meine Gesellschaft so unangenehm?«
    »Diana.« Er trat zu ihr, legte seine Arme um ihre Knie und schaute ihr in die Augen. »Wenn ich dich küsse, muss ich hierbleiben, das weißt du. Ich habe Angst vor dir – vor deinem guten Herz, davor, mich in irgendeiner Weise an dich zu erinnern. Und ich könnte dich nicht küssen und dann – zu einem anderen Mädchen gehen.«
    »Leb wohl«, sagte sie plötzlich.
    Er zögerte einen Moment; protestierte dann hilflos.
    »Du bringst mich in eine schreckliche Lage.«
    »Leb wohl.«
    »Diana, hör doch…«
    »Bitte geh.«
    Er drehte sich um und ging rasch zum Haus zurück.
    Diana blieb reglos sitzen, während die nächtliche Brise hier und da kühl ihr Chiffonkleid kräuselte und bauschte. Der Mond war höher geklettert, und auf dem Sund trieb ein Dreieck aus silbernen Schuppen und zitterte leise zu dem steifen, blechernen Getröpfel der Banjos, das von der Wiese herüberklang.
    Endlich allein – sie war endlich allein. Jetzt war nicht einmal mehr ein Geist übrig, mit dem sie durch die Jahre hätte schweben können. Sie konnte die Arme ausstrecken, so weit sie in die Nacht hineinreichten, ohne fürchten zu müssen, dass sie vertrauten Stoff streifen würden. Die dünne Silberschicht war von allen Sternen abgeblättert.
    Sie saß fast eine Stunde lang dort, den Blick auf die Lichtpunkte am anderen Ufer gerichtet. Dann fuhr ihr der Wind mit kalten Fingern über die Seidenstrümpfe, und sie sprang von der Mauer und landete weich zwischen den hellen Kieseln im Sand.
    »Diana!«
    Breck kam, von seiner Party erregt, herbeigeeilt.
    »Diana! Ich möchte dir einen Freund aus meinem Jahrgang in New Haven vorstellen. Sein Bruder hat dich vor drei Jahren zu einem Schulball ausgeführt.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich habe Kopfschmerzen; ich gehe rauf.«
    Als er näher kam, sah Breck Tränen in ihren Augen glitzern.
    »Diana, was hast du denn?«
    »Nichts.«
    »Du hast doch irgendetwas.«
    »Nichts, Breck. Aber nimm dich in Acht, bitte nimm dich in Acht! Pass gut auf, in wen du dich verliebst!«
    »Bist du – in Charley Abbot verliebt?«
    Sie stieß ein seltsames, hartes kleines Lachen aus.
    »Ich? Um Himmels willen, nein, Breck! Ich liebe niemanden. Ich bin für so etwas wie die Liebe nicht gemacht. Ich liebe mich ja nicht einmal mehr selbst. Ich meinte dich. Es war ein guter Rat, verstehst du das denn nicht?«
    Und unvermittelt rannte sie zum Haus, ihren Rock hochraffend, damit er den Tau nicht berührte. Oben in ihrem Zimmer schüttelte sie die Schuhe ab und warf sich in der Dunkelheit aufs Bett.
    »Ich hätte vorsichtig sein müssen«, flüsterte sie. »Mein Leben lang werde ich dafür bestraft werden, dass ich nicht vorsichtiger gewesen bin. Ich habe meine ganze Liebe eingepackt wie eine Konfektschachtel und sie verschenkt.«
    Ihr Fenster stand offen, und draußen auf dem Rasen erzählten die traurigen, misstönenden Hörner eine melancholische Geschichte. Ein Mohr hinterging die Dame, der er Treue geschworen hatte. Die Dame warnte ihn mit vielen Worten, er solle aufhören, sich mit Sweet Jelly-Roll herumzutreiben, auch wenn Sweet Jelly-Roll die Farbe hellen Zimts habe…
    Das Telefon auf ihrem Nachttisch klingelte aufdringlich. Diana nahm den Hörer ab.
    »Ja.«
    »Einen Augenblick, bitte, New York ist am Apparat.«
    Der Gedanke, es könne Charley sein, schoss Diana durch den Kopf – doch das war unmöglich. Er saß sicher noch im Zug.
    »Hallo.« Es war eine Frauenstimme. »Ist dies der Anschluss der

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